Politik 21. Februar 2024, von Anouk Holthuizen

Die Nahost-Debatte ist auch in der Kirche aufgeheizt

Ökumene

Die Durchführung des diesjährigen Weltgebetstags mit der palästinensischen Liturgie ist wegen des Kriegs in Israel herausfordernd. Hinhören, nicht urteilen, lautet die Devise.

Die Veranstaltung endete unschön. Am 5. Februar fanden in der Paulus-Akademie Zürich unter dem Titel «Leben in Würde für alle in Israel/Palästina» Referate von Friedensaktivistinnen und dazu eine Podiumsdiskussion statt. Eigentlich hätte über das gesprochen werden sollen, was für einen Frieden notwendig wäre, aber das Auftreten einiger Gäste war alles andere als friedlich. 

Bereits die Referate unterbrach eine Frau aus dem Publikum mit lauter Kritik, der Konflikt würde einseitig dargestellt; der Moderatorin gelang es erst nach einiger Zeit, sie zu überzeugen, doch die Podiumsdiskussion abzuwarten. Diese wurde, zeitlich knapp bemessen, zum Dampfkochtopf der Emotionen. 

Dialog kaum möglich

Die Veranstaltung veranschaulichte die Spaltung, die der Konflikt in Israel und Gaza in die Gesellschaft gebracht hat. Über die Situation in Nahost zu sprechen, ohne sich dem Verdacht auszusetzen, die Taten der einen Seite zu relativieren, ist praktisch unmöglich – nicht nur im Bekanntenkreis, sondern auch für ausgewiesene Experten der Region und deren Geschichte. 

Zu spüren bekommt den aggressiven Diskurs derzeit auch die Kirche, vorab im Zusammenhang mit dem Weltgebetstag, der immer am ersten Freitag im März stattfindet. In über 150 Ländern kommen jeweils Frauen verschiedener christlicher Konfessionen zusammen, um die Liturgie eines der nationalen Komitees zu lesen und für Frieden und Gerechtigkeit zu beten.

Wir dürfen den Palästinenserinnen ihre Erfahrung nicht absprechen.
Vroni Peterhans, Präsidentin Weltgebetstag Schweiz

Das jeweilige Komitee wird Jahre im Voraus bestimmt, diesen März sind palästinensische Christinnen zuständig. Sie haben die Texte lange vor dem Massaker, das die radikal-islamische Hamas am 7. Oktober in Israel verübte, erarbeitet, die Liturgie und das Arbeitsheft waren bereits übersetzt. 

EKS empfiehlt Anpassungen

Die leise Kritik, welche die palästinensische Liturgie bereits früh hervorgerufen hatte, wandelte sich danach in eine laute. In Deutschland beurteilten Theologen die Liturgie als antiisraelisch, weshalb das deutsche Komitee diese überarbeitete und das Titelbild auswechselte, das betende Palästinenserinnen zeigt. Eine trägt um den Hals einen Schlüssel, was sich als politisches Symbol deuten lässt. 

Die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS) sah sich nach einem Antrag aus der Synode ebenfalls veranlasst, eine Handreichung zum Weltgebetstag herauszugeben. Diese empfiehlt unter anderem, das Symbol des Schlüssels sowie den Begriff «Nakba» wegzulassen. «Nakba» ist das arabische Wort für Katastrophe: Es bezeichnet die Geschehnisse 1948, als der Staat Israel gegründet wurde und 700 000 arabische Palästinenser das einstige britische Mandatsgebiet Palästina verlassen mussten. Der Schlüssel steht für die Hoffnung auf die Rückkehr heim in ihre Häuser. 

Liturgie falscher Rahmen für Heikles

«Die Situation ist sehr komplex, aus diesem Grund befürwortet die EKS eine Liturgie, in der möglichst viele Menschen mitbeten können», hält Philippe Kneubühler, Mitglied des EKS-Rats, fest. «Menschen auf der pro-israelischen Seite werten den Schlüssel als bedrohlich, als eine Ablehnung des Existenzrechts Israels.» Über Nakba und Schlüssel an Workshops oder Konferenzen zu sprechen sei angemessener als bei einer Liturgie, die ein Monolog sei. Doch die Organisation des Weltgebetstags sei selbstständig, und man respektiere ihre Vorgehensweise. 

Auf die Empfehlungen der EKS will das Schweizer Komitee nicht eintreten. In die Liturgie einzugreifen, kommt für Präsidentin Vroni Peterhans nicht infrage. «Wir haben aber für die Umsetzung in den Basisgruppen Empfehlungen abgegeben.» Etwa, der Wortwahl grösste Sorgfalt beizumessen. 

Die EKS befürwortet eine Liturgie, in der möglichst viele Menschen mitbeten können.
Philippe Kneubühler

Die Liturgien des Weltgebetstags seien immer geprägt vom kulturellen Kontext, in dem die Frauen lebten, und Nakba und der Schlüssel seien Teil ihrer Geschichte. «Wir dürfen ihnen nicht ihre Erfahrung absprechen. Unsere Grundsätze sind: hinhören, nicht urteilen, nicht Partei ergreifen.» Und: «Friedensgebete schliessen immer alle ein, auch unsere jüdischen Schwestern.» Derzeit warten die Komitees Zusätze ab, welche die palästinensischen Christinnen noch schicken wollen.  

Zuhören – dazu rät auch Esther Straub, Präsidentin des Zürcher Kirchenrats und Mitglied des Interreligiösen Runden Tischs des Kantons Zürich, der seit dem 7. Oktober öfter stattfindet. «Wir können den Konflikt nicht lösen, aber den Frieden fördern, wenn wir Kontakt halten und zuhören, statt aus Distanz über die anderen zu urteilen. Wir sollten alles daransetzen, uns nicht auseinanderdividieren zu lassen.» Solche Begegnungsräume zu schaffen, sei eine wichtige Aufgabe der Kirche, und genau das mache der Weltgebetstag.

Heks in heikler Mission

Der Konflikt in Israel/Palästina ist auch für die Kommunikationsarbeit des Hilfswerks der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (Heks) eine Grat-wanderung. Seit 2006 führt es in Kooperation mit palästinensischen und israelischen Partnern Programme zur Stärkung und zum Schutz der Zivilbevölkerung und zur Förderung eines gerechten Friedens durch.  

Das Engagement von Heks werde von gewissen Kreisen immer wieder als «antiisraelisch» oder gar «antisemitisch» kritisiert, sagt Medienspre--
cher Dieter Wüthrich. «Wir setzen uns weltweit auf der Grundlage des hu-manitären Völkerrechts für die Ärmsten ein, und es ist ein Fakt, dass vor
allem palästinensische Menschen von eingeschränkten Rechten und Armut betroffen sind. Dennoch ist Heks nicht Partei.» Kaum ein anderer Kontext
sei emotional und politisch derart aufgeladen, doch habe man den Anspruch, mit allen Seiten im Gespräch zu sein. «In unserem Büro in Jerusa--
lem arbeiten Israelis und Palästinenser konstruktiv zusammen – trotz der schwierigen Situation.»