Porträt 26. April 2021, von Hans Herrmann

«Manchmal ging bei uns das Papier aus»

Humor

Der Mann, der seit gut sieben Jahren regelmässig den Cartoon auf der letzten Seite von «reformiert.» anfertigt, heisst Christoph Biedermann und zeichnet lieber, statt zu reden.

Ein Kreativbüro mitten in der Altstadt von Solothurn, gleich neben der St. Ursenkathedrale, modern her- und eingerichtet, mit Computer und grosszügigen Arbeitsflächen im charmanten Altbau. Auf einem Korpus steht, an die Wand gelehnt, eine gerahmte Humorzeichnung. Der Cartoon zeigt Picasso mit seiner «Neuen»; die neue Geliebte an der Seite des spanischen Künstlers hat ein stark verzogenes und ornamental buntes Gesicht, das eine Auge sitzt grotesk mitten auf der Wange – so pflegte Pablo Picasso in seiner kubistischen Phase -Frauen zu porträtieren.

Die Parodie auf dem Korpus jedoch ist das Werk von Christoph Biedermann. Er hat sie für eine Ausstellung gezeichnet. Er greift regel-mässig auch für «reformiert.» zum Stift –  der Cartoon auf der letzten Seite ist seit gut sieben Jahren immer ein Schmunzelstück von ihm.

Auf sein Schaffen für «reformiert.» erntet er viele Reaktionen. Die Zuschriften – fast durchwegs lobenden Inhalts – stapeln sich auf seinem Tisch. «Eine Leserin aus dem Kanton Zürich schickt mir zum Beispiel zu jeder meiner Zeichnungen einen Brief mit einem eigenen Gedicht dazu, das macht mir enorm Freude», sagt der 54-jährige Zeichner mit der sportlichen Statur, den dunklen Haaren und dem gediegen angegrauten, kurz gestutzten Bart. Für einen Cartoonisten sei es etwas vom Schönsten, regelmässig für -eine Publikation zu zeichnen, das rege zum Schaffen an und sorge für Resonanz. «Leider gibt es immer weniger Zeitungen und Magazine, die Cartoons bringen, das merken wir von der Zeichnerzunft schon.»

Wenn das Papier ausging

Schon früh offenbarte sich Christoph Biedermanns Neigung zum Zeichnen. «Ich habe als Bub gezeichnet, was das Zeug hielt, manchmal ging das Papier aus», erzählt er mit einem Lachen. Beim Berufsberater habe er alles angekreuzt, was irgendwie mit Zeichnen zu tun hatte. Dann habe er sich für Grafiker entschieden. «Damals hatte das noch viel mit Pinsel und Stift zu tun, man konnte sich nicht vorstellen, dass dieser Beruf heute grossenteils am Computer stattfindet.»
Eine Kombination von Computer- und Handarbeit sind auch seine Cartoons für «reformiert.»: Die Konturen zeichnet er mit dem Filzstift, koloriert wird elektronisch, «weil flächige Farbe auf kleinformatigen Bildern besser wirkt als eine Aquarell-Handkolorierung».

Mir liegt es fern, bestimmte Menschengruppen zu verletzen. Aber ganz ohne Biss geht es nicht.
Christoph Biedermann

Eine Farbe spricht Zeichner Biedermann speziell an: «Ich bin schon ein bisschen grün, kein Fundi zwar, aber die Umweltprobleme bereiten mir grosse Sorgen», erklärt er. Immerhin ist er auf -einem Bauernhof aufgewachsen, der Bezug zur Natur ist ihm gewissermassen in die Wiege gelegt worden. Auch andere Themen dieser Welt beschäftigen ihn: Armut, Gerechtigkeit, Migra-tion. «Ich bin kein grosser Redner, deshalb liegt es für mich als Zeichner nahe, dass ich meine kritischen Gedanken in Cartoons ausdrücke», sagt er. Das Schöne am Genre des Cartoons sei, dass es Kritik mit dem Lächeln verbinde. Das wirke häufig nachhaltiger als der bitterböse und moralinsaure Mahnfinger.

Der feine Twist

Er selber hole beim Zeichnen nicht den Holzhammer hervor, er möge eher den «feinen Twist», der einem Thema eine ironische, liebenswürdig witzige oder hintergründig leise Note gebe, führt Biedermann aus. Zudem liege es ihm fern, bestimmte Menschengruppen zu verletzen; religiöse Gefühle oder die Befindlichkeit von Minderheiten seien für ihn tabu. «Klar, ohne Biss kann ein Cartoonist nicht arbeiten, Verletzungen gibt es immer – aber jeder muss für sich selbst ausmachen, wo er die Grenzen zieht.»

Seine Einfälle wehen ihn oftmals buchstäblich an, auf dem 13 Kilometer langen Arbeitsweg, den er mit dem Velo zurücklegt. «In solchen Momenten halte ich an, zücke das Notizbuch und trage den Gedankenblitz ein, mit einem Stichwort und vielleicht einer flüchtigen Skizze dazu.» Die spätere Ausarbeitung sei dann die Kür, laufe fast wie von selber. «Das wirklich Herausfordernde an einer Zeichnung, das ist die Idee», lautet sein Fazit.