Porträt 27. Oktober 2022, von Nadja Ehrbar

Er baut Brücken zur klassischen Musik

Kirchenmusik

Der Komponist Burkhard Kinzler bringt gern Texte zum Klingen. Sein jüngstes Werk ist am Ewigkeitssonntag in Zürich zu hören.

Die Tür öffnet sich, und ein Dutzend Studierende tritt heraus in den Korridor, der aussieht, als läge er in einem Betonbunker. Doch er verbindet die Schulzimmer im Bildungs- und Kulturzentrum Toni-Areal, wo die Zürcher Hochschule der Künste einquartiert ist. Hier unterrichtet Burkhard Kinzler hauptberuflich Musiktheorie. Der 58-jährige Pädagoge, Komponist und Dirigent ist in Stuttgart geboren und lebt seit 2006 in Winterthur. Soeben hat er den angehenden Tonmeistern vermittelt, wie Strukturen eines Musikstücks herauszuhören sind. 

Obwohl er 90 Minuten lang mit den jungen Menschen gearbeitet hat, wirkt der Professor jetzt, am frühen Abend, keineswegs müde. «Ich bin gerade in Schwung», sagt er und erklärt sich bereit fürs Gespräch. In seinem Unterrichtsraum steht neben einem Klavier und einem Whiteboard auch eine alte Kreidetafel. Altes mit Neuem zu verbinden oder «auf Werke anderer Komponisten schöpferisch zu reagieren», wie er es bezeichnet: Dies ist eines seiner Markenzeichen.

In diesem Raum entstand auch der Schluss seines jüngsten Konzertprojekts. Das ist ungewöhnlich, denn zum Komponieren kommt er üblicherweise nur in den Semesterferien. Im Auftrag des Neuen Zürcher Kammerchors verwob er Mozarts Requiem mit dem Gedicht «Und hinter den Dingen» der österreichischen Schriftstellerin Ingrid Fichtner. Entstanden ist ein Oratorium, das der Laienchor mit dem Barockorchester Capriccio im letzten Frühling erstmals aufführte.

Nachhallendes Erlebnis

«Komponiere ich ein Stück, dann wünsche ich mir, dass es sich mitteilt», sagt Kinzler. Wenn es dann zwischen dem Komponisten, den Interpreten und dem Publikum fliesse, «hat man schlicht keine Wünsche mehr». Die Rückmeldungen waren so gut, dass das Stück nun am Ewigkeitssonntag in der Kirche St. Jakob in Zürich erneut aufgeführt wird. Die städtische und die Zürcher Landeskirche machen es mit einem Geldbeitrag möglich.

Komponiere ich ein Stück, dann wünsche ich mir, dass es sich mitteilt.
Burkhard Kinzler, Dirigent, Komponist, Pädagoge

Das Publikum könne sich mit historischer Musik und theologischen Inhalten befassen, sagt Kinzler. Bei den Fragen, die der Text des Requiems stelle, gehe es um Tod, Jüngstes Gericht, ewiges Leben. Die naturhaften Bilder und Metaphern in Fichtners Gedicht seien ein Gegengewicht: Sie setzten beim Staunen über das Entstehen von Leben an. 

«Es ergeben sich so textliche Dialoge und Abfolgen von sphärisch neuen und vertrauten Klängen», erklärt Kinzler, der sich kompositorisch oftmals mit dem Werden und Vergehen auseinandersetzt. Aber die Frage, was nach dem Tod kommt, stellt er sich nicht. «Ich kann sie nicht beantworten.»

Sohn protestantischer Eltern

Der Komponist ist als Sohn protestantischer Eltern auf der Schwäbischen Alb aufgewachsen. Der Vater war Hobby-Chorleiter, die Mutter nebenberufliche Organistin. Er besuchte Klavier- und Orgelunterricht, sang auch in Chören. «Doch ich habe einen Umweg gebraucht», sagt er, der auch ein Faible für Popularmusik hat. Als Jugendlicher gründete er eine Band, spielte E-Bass, schrieb Lieder und Songtexte. «Das war mir wichtig, ich brauchte einen Raum, in dem ich mich ausprobieren konnte.» Während seines Kirchenmusik-Studiums an der Hochschule Heidelberg galt er aus diesem Grund als Paradiesvogel. 

Das Bedürfnis, Klänge zu finden, die in einer bestimmten Kombination noch nie da waren, und sich auf diese Weise mitzuteilen, brachte ihn später dazu, Komposition zu studieren. So kam er in die Schweiz, pendelte drei Jahre lang zwischen Mannheim und Zürich, bevor seine Frau und seine Tochter nachzogen.

Eine gute Komposition muss nicht spektakulär sein, sondern in sich stimmig.
Burkhard Kinzler, Dirigent, Komponist, Pädagoge

Eine gute Komposition müsse nicht spektakulär sein, sondern in sich stimmig und ehrlich, sagt er. «Ob sie dann aber auch zu den Menschen spricht, weiss man nie.» Dass es mit dem Projekt «Hinter den Dingen» aufgegangen ist, freut ihn in aller Bescheidenheit.

  • «Hinter den Dingen». 20. November, 17 Uhr, Citykirche Offener St. Jakob, Zürich