Ein Kamera-Auge prüft alle, die Einlass im Altbau Leimenstrasse 48 in Basel wünschen. Der Grund für den elektronischen Späher an der Haustüre: Hier befindet sich das Zentrum für Jüdische Studien der Universität Basel. Seit den Pariser Attentaten wird auch dieses akademische Institut wie viele anderen jüdischen Einrichtungen in der Schweiz als gefährdet angesehen. 150 Jahre nachdem die Schweizer Juden den übrigen Schweizer Stimmbürgern gleichgestellt wurden, geht einmal mehr die Angst um.
An der Haustüre öffnet Zentrumsleiter Alfred Bodenheimer. Der Professor für jüdische Religionsgeschichte und Literatur trägt die Kippa auf seinem Haupt. Auch auf der Strasse. Bedroht fühlt er sich in der Schweiz nicht. In Frankfurt hingegen hatte er jüngst eine unauffällige Kappe statt einer Kippa auf. «Ein schlechtes Gefühl, sich zu verstecken», sagt er. Als praktizierender Jude, der unter anderem die Koscher-Speiseregeln befolgt, versucht er auch, universitäre Verpflichtungen am Sabbat zu vermeiden. Ist ein Termin unumgänglich, richtet er sich dennoch nach den Sabbat-Regeln. Das heisst etwa: nicht durch ein Mikrofon zu sprechen.
Sabbat-Kopfkino. Ein Sabbat vor drei Jahren machte den Professor plötzlich zum populären Schriftsteller. Damals kam ihm an einem Freitagnachmittag die Idee, einen Krimi zu schreiben. Aber der Plot musste sich wegen des Schreibverbots am Sabbat vorerst im Kopfkino weiterdrehen. «Erst am Samstagabend habe ich mich hingesetzt und das Ganze in einer ersten Version aufgeschrieben.
Krimi schreiben sei für ihn «ein Hobby wie für andere Bergsteigen». Vor allem könne er im populären Krimi-Gewand ihm wichtige Stoffe entfalten. Mit einem Augenzwinkern fügt er hinzu, dass er manchmal den Eindruck habe, seine Krimis würden selbst von den akademischen Kollegen mehr gelesen als seine wissenschaftlichen Aufsätze.
Messiasglaube. Die Figur des kriminalistischen Rabbi Klein gibt ihm die Möglichkeit, frei von Klischees einem grossen Lesepublikum jüdisches Leben in der Schweiz vor Augen zu führen, aber auch ein Stück Theologie zu vermitteln. Beim dritten Krimi (Nagel & Kimche, 2016) ist schon der Titel programmatisch: «Der Messias kommt nicht.» Zufällig ist Bodenheimer, ein Pendler zwischen Schweiz und Israel, in Jerusalem auf den Text des Basler Humanisten Sebastian Münster aus dem 16. Jahrhundert gestossen. Darin debattiert ein Christ mit einem Juden über das Ausbleiben des hebräischen Messias. Der Jude fragt zurück, warum trotz der Ankunft von Jesus Christus die Welt unerlöst geblieben sei.
Das fasziniert Alfred Bodenheimer selbst: Diese Kippbewegung einer sich nie konkretisierenden Idee vom Messias, die dennoch den «Massstab für die Menschen liefert, was zu erreichen alles möglich wäre.» Clever webt Bodenheimer in den Krimi-Plot auch die schwierige Beziehung zwischen Juden und Christen ein. In dem im Unimilieu angesiedelten Krimi geht es auch um Judenmission. Dabei kommt der Theologe Herbert Hug ins Blickfeld. Er hat 1942 für das Ende der Judenmission plädiert und kurz darauf seine Stelle als Direktor des christlichen «Vereins der Freunde Israels» verloren. Im gleichen Kriegsjahr 1942 verfassen Schweizer Pfarrer, darunter Karl Barth, einen Weihnachtsbrief. Darin findet sich der Satz: «Es betrübt uns, dass das Judenvolk Jesus als den im Alten Testament angekündigten Messias nicht erkennt und annimmt.»
Bundesrätin. Zwei Episoden, die zeigen: Der Weg zu einem gleichberechtigten Dialog zwischen Juden und Christen, wie er heute existiert, war lang. Ähnlich verhielt es sich mit dem Verhältnis zwischen Juden und Schweizern. Erst vor 150 Jahren wurde den Juden die Niederlassungsfreiheit in der Schweiz gewährt. Aussenpolitischer Druck der USA und von Frankreich machten die Abstimmung über einen neuen Verfassungsartikel möglich. Ganz knapp wurde die Revision an der Urne angenommen. Ein Fehlstart? Für Bodenheimer keineswegs: «Wenn auch der Anfang holprig war, war es doch ein Quantensprung. Von da an hat der Emanzipationsprozess der Juden eine nicht mehr umkehrbare Dynamik entwickelt.»
Natürlich blitze zuweilen versteckter Antisemitismus auf. Typisch für die Schweiz sei, so Bodenheimer, dass sich die Debatten immer wieder an Sachfragen wie Schächten oder Beschneidung entzündeten. Eines sei aber der beste Lackmus-Test für die Ankunft der jüdischen Minderheit in der Mehrheitsgesellschaft: «Als Ruth Dreifuss zur Bundesrätin gewählt wurde, war ihre jüdische Herkunft kein Thema.»