Die Gegenstände erzählen Geschichten

Nachhaltigkeit

Regula Holligers Hobby ist eine Brockenstube. Dass alte Gegenstände nicht einfach im Kübel landen, ist der Winterthurerin wichtig.

Kaum hat Regula Holliger den Laden aufgemacht, schauen die ersten Nachbarn vorbei. Eine Frau gibt ein Fondue-Set ab. Eine zweite sucht Kuchendosen, schnell noch auf dem Weg zur Arbeit. «Ach, und hast du noch Guetsliförmli?» Tatsächlich gibt es kaum etwas, mit dem Holliger nicht dienen kann.

In einer dicken blauen Strickjacke und türkisfarbenem Schal sitzt sie kurz darauf am Tisch im hinteren Ladenzimmer zwischen Regalen mit Gläsern und Vitrinen mit Schmuck. Holliger erzählt, wie sie von einer Versicherungsbrokerin zur Besitzerin einer Brockenstube wurde. Eher per Zufall kam sie vor zehn Jahren zu dem Laden, für den eine Nachfolgerin gesucht wurde. Für Holliger, Flohmi- und Kirchenbasar erprobt, war der Fall schon nach der Besichtigung  und dem Gespräch mit dem Vermieter klar. «Ich habe eine schlaflose Nacht verbracht, weil ich wusste, jetzt habe ich eine Brockenstube», erzählt sie.

Der Ertrag wird gespendet

In den ersten Jahren führte sie das «Kunterbunt» in Winterthur-Töss neben ihrer Arbeit in Zürich. Seit ihrer Frühpensionierung kann sie sich dem Laden ganz widmen. Dekorationsgegenstände, Küchen- und Badutensilien, Spiel- und Bastelsachen sowie Bücher verkauft Holliger in drei Räumen. Nur Kleider und Möbel nimmt sie nicht an, dafür fehlt der Platz. Die Sachen bekommt sie unentgeltlich. Darum, Gewinn zu erzielen, geht es der 60-Jährigen nicht, den Ertrag spendet sie, zum Beispiel an die Armutshilfe der reformierten Kirche oder an ein Laos-Projekt des Kantonsspitals Winterthur. «Andere geben viel Geld aus für ihre Hobbys. Komme ich mit null raus, ist das doch super», sagt sie und lacht.

Für Holliger ist die Brockenstube ein Kontrapunkt zur Wegwerfgesellschaft. Die Folgen des Klimawandels bekommt sie in ihrem Garten unmittelbar zu spüren. «Gewisse Pflanzen, die vor zehn Jahren noch sehr gut gewachsen sind, verdursten im Sommer einfach. Da wird mir knallhart vor Augen geführt, was abgeht.»

Es ist, als tauche ich ein ins Leben einer anderen Person.
Regula Holliger, Besitzerin der Brockenstube Kunterbunt

Neben dem verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen komme den neuen Besitzern gebrauchter Gegenstände zugute, dass diese oft hochwertiger seien als heutzutage hergestellte. Und dann wären da noch die Argumente mit Blick auf das Design: Gegenstände aus den 60er- und 70er-Jahren seien derzeit besonders gefragt.

Dennoch hat das Hobby für Holliger auch dunkle Seiten. Bis zu dreimal im Jahr holt sie Sachen in Wohnungen ab, etwa von Menschen, die ins Altersheim ziehen oder verstorben sind. «Es ist, als tauche ich ein ins Leben einer anderen Person.» Emotional sei das manchmal schwierig zu ertragen, sagt sie und streicht einem Rotkehlchen aus Ton, das auf dem Tisch steht, über den Kopf. Etwa, wenn klar werde, wie es bergab gegangen sei mit den Bewohnern, wie sich ein einst komfortables Leben durch Krankheit oder Einsamkeit verändert habe. In solchen Fällen helfe es, nicht allein zu räumen, sondern eine Kollegin oder einen Kollegen mitzunehmen.

Schwierige Trennungen

Auch hört Holliger immer wieder Geschichten über die Gegenstände, die sie erhält. Gerade Menschen, denen die Trennung von geliebten Dingen schwerfalle, erzählten gern. Am Ende seien aber viele dankbar, dass das gute Service oder das Bild, das jahrzehntelang an der Wand hing, nicht im Abfall landeten.

Auch von der Stammkundschaft im Laden bekommt Regula Holliger viel mit, sie kennt im Töss-Quartier mittlerweile mehr Menschen als im Quartier, in dem sie schon lange wohnt. Vor Weihnachten kämen viele Kinder, die Geschenke für ihre Gspänli kaufen wollten, sagt sie. Ihnen macht sie Sonderpreise. «So lernen sie, dass es nicht immer etwas Neues sein muss, und können sich das Einkaufen sogar mit dem Sackgeld leisten.»