Die Zwingli-Versteherin aus dem Toggenburg

Barbara Weber

Zwinglis Bedeutung für die Schweiz und Europa aufzeigen, ohne ihn als Heldenfigur zu zelebrieren - das will Barbara Weber, Kuratorin des Reformationsjubiläums.

Hiobsnachricht per SMS: «Grippe im An­marsch mit Kopfweh und Übelkeit. Können wir verschieben? Gruss Barbara We­ber.» Sind das Ausreden in Zeiten der Grippewelle? Von wegen. Eine Stunde später ist Barbara Weber da. Sie beisst sich durch, hat eine Schmerztablette ein­geworfen, einen Ingwertee gekocht und den Schal um den Hals geschlungen. Und sie erklärt: «Notlügen gibt es bei mir nicht.» Das hänge vielleicht mit dem Toggenburger Zwingligeist zusammen, der bei ihr im Elternhaus in Wattwil geweht habe. «Lügen war etwas, was meinem Vater zutiefst zuwider war.» Zwingli hat seine Spuren bei Barbara Weber eingekerbt, oder wie sie sagt: «Zwingli ist mehr eine Chiffre, mehr eine Stimmung, etwas, was bei uns in Wattwil im kollektiven Gedächtnis verankert ist.»

Buhmann Zwingli

Später in Zürich, wo die frühere Co-Direktorin des Neumarkt-Theaters Erfolge feierte, war das anders. «Zwinglistadt – das hat eindeutig einen negativen Beigeschmack», sagt sie in ihrem Atelier inmitten von Zürich. Nur wenige Steinwürfe entfernt hat die Reformation die radikalen Aufbrüche der Täufer brutal ersäuft. Jetzt will Barbara Weber die Schreckensgespenster vertreiben und Zwinglis Reformation in ihren verschiedenen Facetten zeigen. Als Kuratorin wählt sie zusammen mit Martin Heller die Projekte zum Reformationsjubiläum aus. «Klischees brechen» – das sei das zentrale Anliegen, ohne dabei die Grautöne auf der Farbpalette auszulassen. «Zwingli soll nicht als Heldenfigur zelebriert, aber seine Bedeutung für die Schweizer und die europäische Geschichte bewusst gemacht werden», so Weber.

Eines hat Barbara Weber als Kuratorin gelernt: «Die Reformation fand nicht nur in der Kirche statt, sondern auch im Rathaus.» Die Disputationen 1523 seien so etwas wie der Angelpunkt. Diesem Streiten um den rechten Glauben soll auch ein Projekt gewidmet sein.

Wie aber kommt die Regisseurin mit der Rolle zurecht, plötzlich Kunst zu kuratieren und zu administrieren, anstatt selber zu inszenieren? «Ich finde diese Arbeit der Begleitung von künstlerischen Prozessen hochspannend», sagt die Mutter auch im Hinblick auf ihre zwei kleinen Töchter. «So kann ich Beruf und Kinder zusammenbringen.»

Nach der Geburt des ersten Kinds wollte sie ihre Theaterkarriere nahtlos fortführen. «Dann lag ich in einer fremden Stadt alleine im Bett und vermisste vor allem mein Baby», sagt Weber und fügt hinzu: Theater sei ein System, in dem Kinder einfach nicht vorkämen.

Offen für Menschen

Zum Schluss erzählt sie noch, wie es sie als zwanzigjährige Maturandin zum Regiestudium nach Hamburg verschlagen hat. Ohne Theatererfahrung und gegen Hunderte von Mitbewerbern hat sie es geschafft. «Das war Glück», sagt sie. Nicht ganz. Die Fachkommission muss bei der Aufnahmeprüfung gespürt haben, dass diese junge Frau ein Schauspielensemble von ihren Ideen begeistern kann. Auch bei der zweistündigen Unterhaltung hat die Grippe das Leuchten in ihren Augen nicht zum Erlöschen gebracht. Lebendig begleitete sie mit ihren Händen das Gespräch und nahm eine Haltung ein, die zeigte: Ich bin an Menschen interessiert.

Barbara Weber, 41

Sie kuratiert zusammen mit Martin Heller das Zürcher Reforma­tions­jubiläum. Als Co-Leiterin des Theaters Neumarkt Zürich von 2008 bis 2013 und als Regisseurin machte sie sich im deutschsprachigen Raum einen Namen und inszenierte europaweit an renom­mierten Häusern. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich.