Düster schaut er in Richtung Innerschweiz, bewehrt mit einem Schwert – Zwingli auf dem Denkmalsockel bei der Zürcher Wasserkirche. Für Franz Rueb ist es eine Karikatur. Und wenn der gütige alte Herr sonst seine Worte bedächtig nebeneinander setzt wie in seinen jungen Jahren als Typograf die Bleilettern, hier schnaubt er wütend: «Nur wenige Stunden hat Zwingli auf dem Schlachtfeld von Kappel verbracht. Und nicht einmal das ist sicher.»
Ein Liberaler
Touristen schleichen vorbei, manche drücken auf den Kameraauslöser. «Sie haben keine Ahnung, wer das ist», sagt Rueb. Insgeheim ist er froh, dass die Fremden nicht die Passanten auf der Strasse fragen, wer da auf dem Sockel steht. Denn der Reformator mit dem Schwert erscheint vielen Zürchern als rigoroser Moralapostel oder eben Taliban. «Dabei war er ein liberaler Mensch», sagt Rueb.
Zwingli als den «bedeutendsten Eidgenossen» vorzustellen, das hat sich der 82-Jährige vorgenommen. Was dabei verwundert: Der frühere Redaktor des kommunistischen «Vorwärts» und Kantonsrat der «Partei der Arbeit» (PdA) ist konfessionslos. Ein Ungläubiger also, der an Zwingli glaubt. Ihn interessiert am Reformator das Eintreten für die Armen, der weltoffene Humanismus.
Gegen Klischees
1984 schon wollte er mit einem neuen Buch Zwingli von seinem verstaubten Image befreien. Es blieb bei einigen Zeitungsartikeln und einem Berg voll Archivschachteln. 2014 holte er sein gesammeltes Material wie- der hervor, setzte sich an den Schreibtisch und schrieb in einem Zug ganz entflammt sein Zwingli-Buch. «Das war wunderbar. Ich bin hell begeistert, wenn ich Zwinglis Predigten lese», sagt er.
Dass Rueb ausgerechnet Zwingli publizistisch adelt, spricht für seine Offenheit. Denn ihm wurde in seiner Kindheit brutal ein Abwehrre ex gegen alles Religiöse antrainiert. Aufgewachsen in katholischen und evangelischen Heimen, hat er wenig Nächstenliebe erfahren, aber viele Schläge. «Ich bin aber keiner, der das ganze Leben lang sein Kindheitstrauma abarbeiten muss», sagt er.
Ruebs Begeisterung für Zwingli ist auch mit seiner politischen Biografie verknüpft. In der PdA hatte er es mit moskautreuen Betonköpfen zu tun – sozusagen orthodoxe Papisten; auf der an- deren Seite mit maoistischen Sektierern, die Rueb ein wenig als Wiedergänger der Täufer erscheinen. Ein Echo davon findet sich in seinem Buch wieder, wenn er die Täufer als «Weltverbesserer, Schwarmgeister, Grübler, Sektierer» bezeichnet. Unstrukturiert und utopisch seien sie gewesen, nicht interessiert an «einem lebensfähigen, christlichen Staat».
Begeistert von Bach
Der früher radikale Rueb setzte sich beim historischen Rückblick die realpolitische Brille auf. Ist er auch religiös geworden? Ein Lächeln huscht über sein Gesicht: «Nein. Es hat mich einfach nie hineingezogen.» Als wir am Ende des Gesprächs am Grossmünster vorbeigehen, sagt er nebenbei, dass er dort immer wieder Konzerte besuche. Und: «Beim Hören der Bach-Messen bin ich so ergriffen, dass ich manches Mal weine.» Rueb beweist also durchaus ein spirituelles Musikgehör.