Im Pfuusbus ist er Gast und Helfer zugleich

Diakonie

Die kalten Winternächte verbringt Karl seit acht Jahren in der Notschlafstelle Pfuusbus. Er sagt, warum er trotz Krisen optimistisch bleibt.

Die kalten Winternächte verbringt Karl seit acht Jahren in der Notschlafstelle Pfuusbus. Er sagt, warum er trotz Krisen optimistisch bleibt.

Wenn es irgendwo etwas zu tun gibt, ist Karl als Erster zur Stelle. Geräte reparieren, Kisten schleppen, Schnee schaufeln. Egal was getan werden muss, Karl packt an. Er hat einen wachen Blick, darüber dichte und zur Mimik tanzende Augenbrauen. Und viel Humor: «Ein Obdachloser mit Poloshirt, das ist doch mal was anderes.» Sein Nachname tue nichts zur Sache, sagt er. Er sei einfach Karl. Seit acht Jahren verbringt er jeden Winter in der Notschlafstelle Pfuusbus des Sozialwerks Pfarrer Sieber. Der ausgediente, zur Schlafstätte und zum Aufenthaltsraum umgebaute Sattelschlepper steht diese Saison bereits zum 21. Mal beim Zürcher Strassenverkehrsamt Albisgüetli. Seit den Anfängen sind noch zwei Schlafzelte dazugekommen. Karl hat geholfen, Bus und Zelte aufzubauen. Tatkräftig packte er am vergangenen Wochenende mit an.

Rote Pantoffeln

Karl ist Gast und Helfer zugleich. Er trägt rote Filzpantoffeln, fühlt sich sichtlich zu Hause. Behaglich ist es in der kleinen Küche, in der schon bald die Mahlzeiten für Bedürftige zubereitet werden. Bis Mitte November die Saison beginnt, wohnt Karl allein im Pfuusbus, das ist sozusagen die Belohnung für seinen Einsatz: Er schaut in der temporären Notschlafstelle zum Rechten. «Sonst kämen gewisse Leute vielleicht noch auf dumme Ideen.»  Karl rückt die Stühle zurecht, die um den Tisch stehen. Auf dem Herd blubbert der Kaffee. Sein weisser Schnauzer ist akkurat gestutzt und genauso gepflegt wie sein Wiener Akzent. Seine Kleider – die er notabene von einer Börse für Obdachlose bezogen hat – proper.

Und dennoch: Armut stigmatisiere, sagt er. Im reichen Zürich sowieso. Im Umgang mit Obdachlosen stellt Karl der Stadt trotzdem ein gutes Zeugnis aus. Niemand müsse draussen schlafen. In sozialen Einrichtungen esse er zweimal täglich warm «und auf jeden Fall besser als manch einer bei sich zu Hause». Dabei hatte Karl einst ein ganz normales Leben. Aufgewachsen ist er in einem kleinen Dorf in der Nähe von Wien, «wo die Kinder noch draussen spielen konnten». Er lernte Sanitärinstallateur, kam in der Welt herum. Die Golanhöhen beeindruckten ihn besonders.

Geheimer Schlafplatz

Vor 13 Jahren nahm er eine Stelle in der Schweiz an, verdiente 5500 Franken im Monat. Fragte ihn einer um Geld, gab er ihm jeweils einen Fünfliber. Dann wurde er arbeitslos, kam in eine Lebenskrise. Als er davon erzählt, bilden sich Furchen zwischen seinen Brauen, die kurz stillstehen. Er konnte Miete, Krankenkasse und die Behandlung beim Zahnarzt nicht mehr bezahlen. Für den Gang zum Sozialamt war er zu stolz, dann lieber obdachlos. Karl hat seinen eigenen Schlafplatz. «Mit exklusiver Sicht in den Sternenhimmel.» Wo, verrät er keiner Menschenseele. Da müsste ihm einer schon eine Million anbieten, sagt er mit Schalk in den Augen.

Regelmässig packt der 63-Jährige im Gassencafé Sunestube und in der Anlaufstelle Brot-Egge mit an, ebenfalls vom Sozialwerk Pfarrer Sieber, um ein paar Batzen zu verdienen. Zum Beispiel für die tägliche Dusche, die ihm heilig ist. Im Pfuusbus schätzt er die oft guten Gespräche mit Betreuenden und Gästen. Ihm begegnet aber auch viel Elend. Vor allem infolge Alkoholsucht und Drogenmissbrauchs. Selber trinkt er gern hin und wieder ein Glas Wein oder ein Bierchen. Er hält er sich aber durchaus fit, wie er stolz erzählt. Er zeigt auf den Velohelm, der neben ihm liegt.

Für Karl ist das Glas immer halb voll. Obwohl er täglich Nachrichten hört und die News auf seinem Smartphone liest. Es fehle ihm eigentlich an nichts. «Warum soll ich mich beklagen?» Die Welt besser machen könne man nur im Kleinen, etwa, indem man sich bewusst die Zeit nehme, um dem Gegenüber besser zuzuhören.