Sie hat das Zirkusblut in den Adern

Seelsorge

Eveline Saouds neue Gemeinde sind Artisten, Händlerinnen und Schausteller. Die Kirche solle zu den Menschen gehen, findet die Pfarrerin.

Sie hat in Iglus gepredigt und auf Alpwiesen Hochzeitsgottesdienste und Abdankungen gefeiert. Nun werden Autoscooter und Manege zu ihrer Kanzel: Eveline Saoud ist die neue Chilbi- und Zirkusseelsorgerin. «Ich halte gerne an speziellen Orten Gottesdienst, an Orten, die den Menschen etwas bedeuten», sagt die 48-jährige reformierte Pfarrerin. Dass die Kirche zu den Menschen kommt, ist ihr wichtig. «Darum hat mich die Stelle so gereizt.»

An diesem Tag im Dezember sitzt Saoud in einem Café mit Blick auf die Limmat und einen Ort ihres Wirkens: das Zelt des Circus Conelli. Es ist noch sehr früh am Morgen, auf dem Bauschänzli herrscht kaum Betrieb. Eveline Saoud hingegen ist ganz präsent. Mit akkurat gezogenem Lidstrich und wachem Blick erzählt sie von ihrer Begeisterung für Zirkus, Chilbi und Marktstände. «Es ist eine Traumwelt, die Lichter, die Farben, die Gerüche.» 

Cooler als das Lehramt

Sie ist gewissermassen familiär vorbelastet: Ihr marokkanischer Vater reiste in jungen Jahren als Trapezkünstler im Zirkus mit. Und der Besuch des Albanifests in ihrer Heimatstadt Winterthur gehörte zum Standardprogramm der Familie. Auch mit ihren eigenen zwei Kindern ist Saoud viel auf Chilbis unterwegs, nicht zuletzt, weil ihr Ex-Mann in seinen jungen Jahren mit der Steuerung von Fahrgeschäften zu tun hatte.

Ihre Kinder fänden den neuen Job cool, sagt sie und lacht. «Ganz im Gegensatz zum Lehramt, das ich ja auch noch ausübe.» Denn die Stelle der Chilbi-Seelsorgerin wird hauptsächlich von einem Verein finanziert und umfasst nur 20 Prozent. Saoud unterrichtet an der Kantonsschule Freudenberg noch Religion, Kultur und Ethik. 

Cool wirkt der Job zwischen Rampenlicht und Fahrgeschäften, doch er ist harte Arbeit. Seit ihrem offiziellen Amtsantritt am Knabenschiessen war Saoud viel auf Märkten und Messen unterwegs. Sie hat sich bei Schaustellerinnen und Händlern vorgestellt, unzählige Hände geschüttelt. Dabei habe sie viel Offenheit erfahren. «Manch einer hat aber auch klar gesagt, er sei nicht interessiert.» Das ist für sie in Ordnung. «Ich will ja nicht missionieren.» Für die Seelsorgetermine reist Saoud durch die ganze Schweiz, ebenso für Gottesdienste, die sie ökumenisch abhält, für Trauungen, Taufen und Beerdigungen. 

Engadin als Ausgleich

Ihre neue Gemeinde beschäftigen die gleichen Themen wie Menschen mit festem Wohnsitz: «Es geht um Beziehungen, Gesundheit, Arbeitsplatzsicherheit, die Wirtschaftsentwicklung.» Allerdings bringe das Leben in Zirkus- oder Schaustellerwagen zusätzliche Herausforderungen mit sich. Etwa längere Phasen der Trennung von der Familie. Bei den Markthändlern hat Saoud einen starken Druck gespürt durch das veränderte Konsumverhalten. «Sie müssen findig und innovativ sein.» Das mache das Umfeld aber quirlig und spannend.

Die Begeisterung für die laute, lebendige Welt der Künstler, fahrenden Händlerinnen und Schausteller ist eine Facette der Pfarrerin. Eine andere ist ihre Liebe zur Natur, das Wandern und Skifahren mit der Familie. Als Berufsanfängerin arbeitete sie einige Jahre im Unterengadin. Dort zieht es sie immer wieder hin, wenn es doch mal zu laut wird. «Die Stadt hat etwas Unruhiges, in den Bergen spüre ich Ruhe und eine gute Energie.»