Zwei Frauen sind auf ihren Velos unterwegs. Plötzlich stoppt die hintere, steigt ab und läuft einige Meter zurück. Freudig hebt sie eine Vogelfeder vom Feldweg auf. Sie klemmt sie vorsichtig unter den Gepäckträger und ruft ihrer wartenden Kollegin zu: «Diese Feder musste ich einfach haben.» Eine Beobachtung auf dem Weg zur Testfahrt auf dem E-Bike-Achtsamkeitstrail.
«Achtsam zu sein, heisst, voll undganz den gegenwärtigen Moment wahrzunehmen – ohne Urteil und Ablenkung, dafür mit Offenheit und Neugier.» Das sagte wenige Tage zuvor Jörg Kyburz von der Akademie für Achtsamkeit in Lenzburg bei derEröffnung des Achtsamkeitstrails. Kyburz hat die erste E-Bike-Route dieser Art hierzulande im Auftrag von Seetal Tourismus mitentwickelt.Auch Vera Büchel, Geschäftsstellenleiterin von Seetal Tourismus, wandte sich bei der Eröffnung Mitte Mai ans Publikum: «Das neue Angebot lädt ein, den Alltagsstress und die ständige Erreichbarkeit zu vergessen und sich bewusst mit der Natur auseinanderzusetzen.»
Aufs Geniessen einlassen
Wer während der Fahrt das Handy nicht benutzen will, kann bei Seetal Tourismus Kartenmaterial beziehen.Weil dort die Achtsamkeitsposten zwischen Lenzburg im Kanton Aargau und Hohenrain im Kanton Luzern nur grob eingezeichnet sind, warf ich vorgängig einen Blick auf die Website. Alle Übungen zum Trailhabe ich auf der Testfahrt bei mir, sie sind im Achtsamkeitstagebuch beschrieben, das zum analogen Package gehört.
Die Route bringt mich kaum ins Schwitzen. Mehr als 500 Höhenmeter müssen nicht überwunden werden. Der Trail liesse sich gut ohne motorisierte Unterstützung unter die Räder nehmen. Beim achtsamen Unterwegssein durchs Seetal geht es aber nicht um körperliche Ertüchtigung. Vielmehr ermöglicht das E-Bike, sich entspannt auf die Schönheit der Landschaft einzulassen. Bei den Selbstverleihstationen an den Bahnhöfen Lenzburg, Beinwil am See und Hochdorf können E-Bikes gemietet werden.
Von Dankbarkeit und Mut
62 Kilometer lang ist die gesamte Strecke. Zwischen Lenzburg und Hallwilersee sind vier «Raststätten des kleinen Glücks» platziert, zudem aktuell zwei am Baldeggersee, wo nächstes Jahr weitere Stationen folgen werden. Dort kann man sich in die Themen Danken, Begegnen, Handeln, Entstehen, Staunen, Sein, Gehen und Öffnen vertiefen.
Für heute nehme ich mir die Posten der Hallwilersee-Route vor. Im Wald zwischen Lenzburg und Seon,am Ufer des Aabachs, ist die erste Raststätte. Hier darf ich Steinmännchen bauen. Bevor ich einen Stein auf den anderen setze, soll ich mich an eine Situation, einen Menschen oder eine Sache erinnern, einfach an etwas, wofür ich dankbar bin. Tatsächlich sind meine Gründe zur Dankbarkeit zahlreicher als die Steine, die ich zu schichten vermag, bevor das Werk umkippt. Eine befriedigende Erkenntnis. Weiter geht es Richtung Seengen. Zuerst zum alten Richtplatz nahe dem Schloss Hallwyl; dann auf den Rügel.