Wir Menschen sind Teil der Natur. Wir leben in Rhythmen. Ohne Schlaf werden wir auf Dauer krank. Ohne Ferien brennen wir aus. Daher gibt es ein Recht auf Arbeitszeiten und Ferien. Dazwischen pausenlos arbeiten? Es gibt das Wochenende! Wer da arbeiten muss, kann andere Tage ersatzweise freinehmen. Es gibt Feiertage! Ausschlafen, Ski fahren, mit den Kindern spielen…
Bund. Die Ferien, das Wochenende und die Feiertage sind geschützte Auszeiten, die dem Biorhythmus geschuldet sind. Ohne sie ist der Burnout vorprogrammiert. Die Ruhetage sind nicht willkürlich gewählt. Sie stiften soziale Gemeinschaft, wollen erinnern und die Gesellschaft verbinden. An christlichen Festen dürfen auch alle Anders- und Nichtgläubige ausschlafen. Nationale Feiertage halten gemeinsame Traditionen lebendig. Ruhetage sind also nicht nur ein Tribut an den Biorhythmus, sondern als Feiertage auch ein sozialer Kitt. Unabhängig von der religiösen Prägung der Einzelnen vergegenwärtigen sie unsere kulturellen Wurzeln und beeinflussen damit den Zusammenhalt der Gesellschaft. Das sollten wir uns vor Augen halten, wenn es um die Frage geht, ob und wie am Ruhetagsgesetz etwas geändert werden sollte.
Ich habe bewusst nicht mit der Bibel angefangen. Die Bibel kann nicht alle heutigen Fragen verbindlich beantworten. Sie ist ein Stück antiker Literatur, spiegelt aber Einsichten, die wir heute noch nachvollziehen können. Als reformierter Christ sehe ich die Bibel als Gründungsurkunde des Glaubens, die ich selbst denkend und verantwortlich für heute auslegen möchte.
Bibel. Die Bibel benennt bereits in ihrem ersten Kapitel jene Grundtatsache, dass wir Menschen Teil der Natur sind, und zwar ihr komplexester, am weitesten entwickelter Teil. Die Entstehung der Welt und des Lebens wird als Ordnung von Chaos aufgefasst: Lebensbedrohliches wird zurückgedrängt, Lebensräume werden eröffnet. Dem menschlichen Leben darin wird ein Sinn gegeben. Insofern ist der Schöpfungsglaube etwas Persönliches und keine naturwissenschaftliche Beschreibung: «Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen …», schreibt Luther 1529. Das Schöpfungswerk schliesst mit der Institution des Sabbat. Das Wort bedeutet «Aufhören». Gott ruhte. Wer kreativ ist, muss auch einmal ausruhen. Der Künstler betrachtete sein Werk: Es war nicht nur einfach «gut», sondern «sehr gut». Die Bibel nennt es das «Paradies».
Bekanntlich leben wir nicht mehr im Garten Eden. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Das wussten auch die biblischen Autoren. Sie meinten, das Paradies sei eine Utopie, an der es sich auszurichten gilt: So ist es nicht, aber so könnte es sein! Deshalb gibt es die Weisungen und Gebote. Sie sind zum Leben da. Beachte den Sabbat! Ruhe Dich aus, mach Pause. Nicht nur Du, sondern alles, was Dich umgibt. Sogar der Ackerboden soll alle sieben Jahre einmal brach liegen. Nach sieben mal sieben Jahren wird ein ökonomisch radikaler Schnitt gemacht: Alle Schulden werden erlassen! Ein Neuanfang ist möglich.
Die Sieben ist nicht einfach Zauber- und Märchenzahl, sondern dem Mondumlauf geschuldet. Daran sowie an den Jahreszeiten orientierte sich das agrarische Leben, und daher auch der Festkalender. Nichts ist selbstverständlich. Das Brot muss hart erarbeitet sein. Wenn es genug zu essen gibt, und kein Kriegschaos droht, spricht die Bibel vom Segen Gottes, der sich sichtbar auswirkt. Es herrscht «Schalom», das heisst «Frieden» und «Heil».
Biorhythmus. Die Festzeiten und der Wochenrhythmus sind gut für uns. Nicht weil sie von Gott bestimmt sind, sollten wir uns daran ausrichten. Umgekehrt: Es ist sinnvoll geordnet, damit es uns physisch und psychisch gut geht. «Der Sabbat möge für den Menschen da sein, und nicht der Mensch für den Sabbat», fasst Jesus von Nazaret die Auslegungstradition zusammen. Ruhen soll alles, was uns umgibt: der lebensspendende Ackerboden, die Tiere und alle Menschen, unabhängig vom sozialen Status oder Geschlecht. Gibt es Ausnahmen von der Regel? Ja, natürlich: Wenn Leben gerettet werden muss!
Ein moralischer Zeigefinger? Nein! «Es ist alles erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten», sagt Paulus. Heute diktieren andere, schnellere Abläufe unser Leben im digitalen Zeitalter. Nur unser Biorhythmus passt sich nicht so schnell an. Wir brauchen keine permanente Ablenkung und Unterhaltung. Permanenter Stress macht uns krank. Wir brauchen immer noch Ruhezeiten und soziale Gemeinschaft. Gut so!