Atomkraft spaltet auch kirchliche Geister

Abstimmung

Atomstrom kann als emissionsarmer Segen betrachtet werden - oder als tickende Zeitbombe. Zur Ausstiegsinitiative gibt es unterschiedliche kirchliche Positionen.

Am 27. November stimmt das Volk über die Atomausstiegsinitiative ab. Diese will, dass in der Schweiz keine neuen Atomkraftwerke mehr gebaut werden und die maximale Betriebsdauer der fünf bestehenden Werke 45 Jahre beträgt. Somit müssten bereits im kommenden Jahr drei AKW stillgelegt werden, das letzte dann im Jahr 2029.

Diese Initiative wird nicht von allen kirchlichen Gruppierungen, die sich mit Energiefragen befassen, unterstützt. Die Arbeitsgruppe Christen und Energie(ACE) empfiehlt ein Nein. Die Gruppe, in deren Vorstand ein Theologe und zwei Ingenieure sitzen, begründet ihre Haltung mit einem Hinweis auf den schweizerischen Energie-Mix, der im Vergleich mit dem Ausland einen «sehr geringen» CO2-Anteil aufweise. Gerade in diesem Punkt spiele, so die ACE, «die Kernenergie mit ihrer beinahe CO2-­freien Stromproduktion eine Schlüsselrolle im Kampf zum Schutz des Klimas und gegen Klimaerwärmung». Entsprechend brauche es eine Energiepolitik, in der auch die Kernkraft «in einem massvollen Umfang eine Rolle spielt».

BlickaufneueEnergien. Anderer Auffassung ist der Verein öku Kirche und Umwelt. In einer mehrseitigen Stellungnahme kommt er zum Schluss, dass die Volks­initiative für einen geordneten Atomausstieg zu befürworten sei. Dies, weil das Parlament im Rahmen der Energiestrategie 2050 keine Laufzeitbegrenzung für AKW festgelegt und strengere Sicherheitsauflagen abgelehnt habe. Die erneuerbaren Energien Wasserkraft, Solarkraft und Windkraft befänden sich auf dem Siegeszug; in den umliegenden Ländern laufe die Energiewende aufHochtouren. «Allein in Deutschland ist zurzeit eine Spitzenleistung von 39 Gigawatt Solarenergie installiert.» Hinzu komme die Leistung der Windkraftwerke; daraus resultiere eine eigentliche Stromschwemme mit sinkenden Preisen. Die Folge: Mit Strom lasse sich nichtmehr genug verdienen, um ein AKW zu betreiben und sicherheits­technisch nachzurüsten.

Auch der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) hält zurKernkraft Distanz. Zwar nimmt er zurvorliegenden Ausstiegsinitiative nicht Stellung, hat sich aber 2008 in seiner Studie «Energieethik» sowie in seinerVernehmlassung zur Energiestrategie 2050 atomkritisch geäussert. Ansprechperson für Energie- und Umweltfragen beim SEK ist Otto Schäfer, mitverantwortlich für den Bereich Theologie und Ethik. Theologisch ist für ihn bei diesen Fragen zentral, die Endlichkeit und Fehlbarkeit des Menschen einzugestehen und die Verantwortung gegenüber der Schöpfung und den kommenden Generationen wahrzunehmen. «Ich gebe zu, dass mich der Besuch der Umgebungvon Fukushima 2014 sehr in meineratomkritischen Haltung bestärkt hat», sagt er auf Anfrage.