Recherche 28. April 2022, von Sandra Hohendahl-Tesch, Vera Kluser

Autoscooter, Country und das Gottvertrauen Jesajas

Gottesdienst

Ausgelassenheit und Lebensfreude sind zurück. Nach zwei Corona-Jahren hat Chilbi-Pfarrerin Eveline Saoud den Frühlingsmarkt in Uster eröffnet und der Branche Mut gemacht. 

Ich begrüsse euch zum Leben, das endlich wieder beginnt.» Eveline Saoud steckt im schwarzen Talar, der mit ihren roten Haaren kontrastiert wie an diesem Morgen der blaue Himmel mit der Sonne. Der Duft von gebrannten Mandeln liegt in der Luft. Es ist Palmsonntag. Mit einem Gottesdienst auf der «Tütschibahn» öffnet der Ustermer Frühlingsmarkt seine Tore. 

Um 10 Uhr sind bereits alle Autoscooter besetzt. Wer keinen Wagen mehr findet, nimmt auf einer Festbank Platz. Kirchgängerinnen, Passanten, Marktfahrer und Schaustellerinnen sind anwesend. Für Saoud ist es der erste Einsatz, seit sie das Amt als Chilbi- und Zirkus-Seelsorgerin am Knabenschiessen vor zwei Jahren übernommen hatte und direkt in den Lockdown schlitterte. Sie witzelt: «Zum ersten Mal begegnen wir uns ganz normal, ohne 2-, 3- oder 5-G».

Autoscooter statt Kirchenbank: Der erste Chilbi-Gottesdienst der Saison

Virus als Feind

Was ist gerecht? In der Predigt, die sie zusammen mit Pfarrerin Bettina Wiesendanger von der reformierten Kirchgemeinde Uster hält, geht es um die verschiedenen Facetten von Gerechtigkeit. Alle sollten die gleichen Chancen haben. Wiesendanger: «Es ist unfair, einen Elefanten, einen Affen und einen Goldfisch auf einen Baum klettern zu lassen.»  

Aber manchmal schade auch ein bisschen Wettkampf nicht, entgegnet Saoud. Heute finde gleichzeitig der Zürich-Marathon statt. Erfolg brauche Training und ein Ziel vor Augen. «Lasst euch nicht beirren», ermahnt sie die Anwesenden und nimmt Bezug auf das Gottvertrauen der Propheten (Jes 50,4–9). 

Einfach ist das allerdings nicht immer, vor allem wenn der Feind ein Virus ist. Der Chilbi-Branche ging es in der Corona-Zeit so richtig mies. Niemand weiss das besser als Odette Lang, die heute zuvorderst im Publikum sitzt. In der dritten Generation betreibt sie einen eigenen Schiess- und Spielbetrieb und besitzt mehrere Jahrmarktwagen.

«Wir liefen finanziell und psychisch am Limit», erzählt sie. Der Umsatz brach 2020 um 90 Prozent ein. Viele kehrten dem Gewerbe den Rücken und bauten sich ein neues Standbein auf. Das Schlimmste für Lang: «Wir konnten den Leuten keine Freude mehr bereiten.» 

Der heutige Gottesdienst ist für Lang «ein wichtiges Zeichen der Zusammengehörigkeit». Denn Chilbi und Kirche seien traditionell eng miteinander verbunden. Schliesslich komme das Wort «Chilbi» von «Kirchweihe», weiss Lang. «Wenn früher irgendwo eine Kirche eröffnet wurde, gab es zuerst ein grosses Fest im Dorf.» Die Kollekte, welche nach dem Gottesdienst gesammelt wird, ist für das reformierte Chilbi- und Zirkus-Pfarramt bestimmt.

Von Gott versorgt

Auch für Pfarrerin Bettina Wiesendanger schliessen sich Jahrmarkt und Gottesdienst nicht aus. Sie war lange in der Gefängnisseelsorge tätig. «Ich kenne das Improvisierte, es gefällt mir ohne Kirchenraum.»  

Als geradezu «hammermässig» beschreibt Frohnatur Marco Gottardi, auf dem Kopf einen Cowboyhut, die Stimmung vor Ort. Ihm gehört die Autoscooter-Bahn, und mit seiner Countryband singt er sich in die Herzen der Zuschauer.

Das Rezept, das ihn die schwierige Zeit meistern liess: «Gemeinde, Privatpersonen und auch der Staat unterstützten uns. Vor allem jedoch versorgte uns Gott mit Zuversicht.»

Mit einem innigen «Halleluja» endet der Gottesdienst. Und das Vergnügen geht weiter. Punkt elf Uhr beginnt sich das benachbarte Karussell in schwindelerregender Höhe zu drehen. Kinder kreischen.

Chilbi ist für Eveline Saoud mehr als Spass. «Ob Teenie oder Rentner, fast alle mögen Chilbi. Sie ist für mich so etwas wie ein Kitt in der Gesellschaft.»