Ein feuchtwarmer, bedeckter Juninachmittag auf dem Friedhof Lauterbrunnen im Berner Oberland. In der Nähe stürzt schäumend der Staubbach über die senkrechte Felswand; es ist der höchste frei fallende Wasserfall der Schweiz. Bei einem Blick hinauf ins Tal zeigen sich weitere schroffe Felswände. Es wirkt, als wären sie mit einer riesigen Schaufel aus den Bergen herausgestochen worden. Die Natur ist hier nahe und ungezähmt.
In dieser Landschaft suchen viele Menschen das Gegenprogramm zum behüteten Leben in der Zivilisation: die wilde, urwüchsige, erhabene Schönheit der Natur. Manche holen sich dieses Erlebnis wandernd oder bergsteigend, andere suchen stärkere Reize und frönen dem Gleitschirmfliegen und Basejumping. Letzteres heisst auch «Objektspringen» und besteht darin, von einem hohen Objekt – Hochhaus, Sendemast, Fels – hinunterzuspringen, mit einem Spezialfallschirm ohne Notschirm, da sich dieser wegen der relativ geringen Sprunghöhe eh nicht öffnen könnte. Manche springen auch in einem Wingsuit, einem «Flügelkleid», das ein vogelflugähnliches Gleiten ermöglicht.
Raum wird ungefragt vereinnahmt
Basejumping ist eine Risikosportart. Entsprechend kommt es gerade im Lauterbrunnental, das ein Eldorado für Basejumping ist, hin und wieder zu tödlichen Unfällen. Privat erstellte Gedenkstätten mit Blumen, Kerzen, Plaketten, Erinnerungsgegenständen und zum Teil sogar Urnen zeugen an verschiedenen Stellen im Tal davon. Auf eine etwas ambivalente Weise: Einerseits werden Passantinnen und Passanten zum Nachdenken über die Vergänglichkeit eingeladen, andererseits wird öffentlicher Raum ungefragt für fremde Trauer vereinnahmt. Was Unbeteiligte seltsam berühren oder sogar ärgern kann.