Das Neue in der neuen Lebensphase entdecken

Pensionierung

Mit der Pensionierung hört das Erwerbsleben auf. Und dann, was tun mit den neuen Freiheiten? Zwei Profis helfen, die richtigen Fragen zu stellen.

Die einen machen sich kaum Gedanken, arbeiten bis zu ihrem 65. Geburtstag und lassen sich dann überraschen, was ihnen das Leben als Rentnerin und Rentner so bringt. Andere wiederum besuchen Vorbereitungskurse, planen ihre Finanzen und suchen Beschäftigungen für die Zeit nach der Pensionierung. Doch wie auch immer der Übergang angesteuert wird, ob mit Vorfreude, Respekt oder voller Sorgen, der Abschied von der Berufswelt stellt die meisten Betroffenen vor anspruchsvolle Fragen.

Einiges ist nicht mehr möglich

Wer bin ich ohne meinen Beruf? Was bin ich wert, wenn ich anstatt eines Lohns für meine Leistung -eine Rente bekomme? Habe ich das Beste aus meinen Berufsleben gemacht? Wie gehe ich mit ungenutzten Chancen um? «Beim Übergang rund um die Pensionierung geht es nicht nur darum zu planen, wie es organisatorisch und finanziell weitergehen soll. In dieser Phase kommen auch Themen auf, die es erforderlich machen, die gesamte weite Lebensdimension einzubeziehen», meint der Theologe Karl Graf. «Es ist die Zeit, in der man anerkennen muss, dass vieles im Beruf geklappt hat, einiges aber nicht. Und dass man jetzt nichts mehr daran ändern kann. Und man muss sich eingestehen, dass gewisse Sachen nicht mehr möglich sind, beruflich und privat. Das kann schmerzlich sein.»

Der Sehnsucht auf der Spur

Zusammen mit der Theologin Theres Spirig-Huber bietet Karl Graf in diesem Prozess Unterstützung an. «When I’m sixty-four» heisst ihr Seminar, das sich für Menschen eignet, die diesen Lebensübergang in der ganzen Breite aktiv angehen wollen. «In unseren Kursen gehen wir mit den Leuten auf Spurensuche nach dem roten Faden, der sich durch ihr Leben zieht, nach ihrer eigentlichen Sehnsucht», umreisst Theres Spirig-Huber das Vorgehen.

Es gehe einerseits darum, sich von gewissen Hoffnungen und Bildern zu verabschieden, das Ungelöste anzuerkennen. Aber auch darum, Träume aufzuspüren. «Bei der Beschäftigung mit der eigenen Lebensgeschichte offenbaren sich die wichtigen Themen, und der Zugang zu ungestillten Sehnsüchten wird frei.» Diese gelte es zu entdecken, sagt Spirig-Huber. «Wir bieten in unseren Seminaren die Möglichkeit, sich den tieferen Schichten des Seins anzunähern. Und wir unterstützen die Menschen dabei, eine Sprache dafür zu finden.»

Auf ins Ungewisse

Diese Sprache, fügt Karl Graf an, gründe in der christlich-jüdischen Tradition. «In der Biografiearbeit verbinden wir etwa die Situation des Aufbruchs mit der Geschichte Abrahams, der aufbricht ins Ungewisse.» Damit bekomme die eigene Situation, der Übergang in den Ruhestand, eine zusätzliche Dimension. Sie arbeiteten auch mit literarischen Texten, Gedichten, Malen und Zeichnen, erklärt Spirig-Huber. «Damit lässt sich die Sehnsucht als etwas erfahren, das über uns hinausgeht. Und so kann das Neue der neuen Lebensphase erst recht entdeckt werden.» Denn was genau uns die Pensionierung bringt, ist offen. Wie der Beatles-Song es treffend ausdrückt: «Will you still need me, will you still feed me, when I’m sixty-four?»

Kurse: www.spirituelle-begleitung.ch

Karl Graf, 70

Theologe mit psychotherapeutischer Ausbildung, geistlicher Begleiter, zusammen mit Spirig-Huber leitet er Seminare rund um die Pensionierung, Exerzitienkurse und Biografierarbeit. Er ist verheiratet und hat drei Kinder

Theres Spirig-Huber, 62

Theologin, Supervisorin BSO. Sie bietet spirituell-therapeutische Begleitung, Biografiearbeit und Exerzitien in Klöstern und Wanderexerzitien an. Sie ist verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter und lebt in Bern.