Ein Märchen über Mut und Menschlichkeit

Kino

Der Film «Das kostbarste aller Güter» des Regisseurs Michel Hazanavicius ist ein bildstarkes und aussergewöhnliches Plädoyer gegen das Vergessen des Holocausts und für die Liebe.

«Es war einmal in einem grossen Wald…» Märchenhaft startet der Animationsfilm «Das kostbarste aller Güter» in seine Geschichte, die vor der Kulisse des zweiten Weltkriegs spielt:  Die Frau eines polnischen Holzfällers findet neben den Bahngleisen, die nach Auschwitz führen, einen Säugling. Das Kind wurde von seinem Vater aus einem Deportationszug herausgeworfen, in der Hoffnung, ihm so das Leben zu retten. Trotz grossem Risiko und anfänglichem Widerstand ihres Mannes zieht die Frau das jüdische Mädchen auf – die kostbare Fracht des Zuges wird ihre grosse Freude.

Der Regisseur Michel Hazanavicius hat sich in seinem ersten Animationsfilm schwierigem Stoff angenommen. Bekannt ist er eher für Komödien. Mit der Spionage-Parodie «OSS 117: Der Spion, der sich liebte», schaffte er 2006 den Durchbruch. 2011 erhielt seine schwarz-weiss gedrehte Stummfilm-Hommage «The Artist» fünf Academy Awards. «Das kostbarste aller Güter» feierte 2024 in Cannes Weltpremiere und lief im offiziellen Wettbewerb. 

Als Werk über den Holocaust versteht Hazanavicius den Animationsfilm jedoch nicht, sondern vielmehr als ein Film über die Menschen, die in diesen düsteren Zeiten die richtigen Entscheide trafen. «Die Geschichte wirft ein Licht auf die schönsten Figuren dieses Krieges, die Gerechten. Menschen, die anderen das Leben gerettet haben», sagte der Regisseur im Interview mit dem Portal Film-rezensionen.de. 

Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman des renommierten französischen Schriftstellers und Drehbuchautor Jean-Claude Grumberg, dessen Vater selbst in Auschwitz ums Leben kam. In Frankreich ist das Buch drauf und dran, ein Klassiker zu werden, in Deutschland war es 2021 für den Jugendliteraturpreis nominiert. 

Hazanavicius, selbst Sohn einer jüdischen Familie polnisch-litauischer Herkunft, las den Text bereits vor der Veröffentlichung und war von den Charakteren gebannt. Die Geschichte als Animation auf die Leinwand zu bringen sei alternativlos gewesen, sagte er dem Online-Magazin «The Spot». So bleibe jedem selbst überlassen, wie sehr er sich in die Bilderwelten versenken und wie sehr er Distanz wahren wolle. Für Hazanavicius ist Animation das «perfekte Werkzeug, weil man mit ihr nicht an Realität gefesselt ist. Animation ermöglicht Poesie, Symbolik.»

In Zeiten, in denen in vielen Teilen der Welt alles auf dem Kopf, steht, ist es gut zu wissen, dass wir immer die richtige Wahl treffen können, die Wahl der Würde und Menschlichkeit.
Michel Hazanavicius, Regisseur

Der Regisseur ist privat selbst ein passionierter Zeichner. Er entschied sich für zweidimensionale Bilder mit starken Linien, ähnlich dem Stil von Buchillustrationen. Der hauptsächliche Handlungsstrang folgt der Frau des Holzfällers und dem Kind und wird in poetischen Farbbildern erzählt. Die Gräuel des Vernichtungslagers, in dem sich der Vater des Kindes befindet, beschreibt Hazanavicius abstrakter, in Grautönen, Kohleskizzen ähnlich. Die Figuren werden so zu Archetypen, die Geschichte erhält eine Allgemeingültigkeit. Sie beschreibt das Schlimmste, das der Krieg im Menschen hervorbrachte: Vorurteile gegenüber jüdischen Mitbürgern, Verrat, Vernichtung, Mord und Hass. Aber auch das Beste, etwa die Mitmenschlichkeit, die Liebe, die schlussendlich triumphiert und den bedingungslosen Einsatz für andere. 

Gegen Ende wird der Film zum Plädoyer gegen das Vergessen und so will ihn der Regisseur auch verstanden wissen, wie er in Interviews betonte. In Zeiten, in denen in vielen Teilen der Welt alles auf dem Kopf, stehe, sei es «gut zu wissen, dass wir immer die richtige Wahl treffen können, die Wahl der Würde und Menschlichkeit.» 

Das kostbarste aller Güter, Frankreich, 2024, 81 min, F/d, FSK 12 von Michel Hazanavicius startet am 06. März 2025 in Deutschschweizer Kinos