Den Tod mit anderen Augen sehen

Ausstellung

Der Fotograf Walter Schels und die Journalistin Beate Lakotta haben unheilbar kranke Menschen vor und nach ihrem Tod porträtiert.

Wenn Walter Schels etwas nicht ausstehen kann, dann ist es ein lächelndes Gesicht. Zumindest nicht, wenn er es fotografiert. Denn der deutsche Fotograf mit dem Pagenschnitt und dem markigen Gesicht sagt es klipp und klar: «Das Lachen ist nur eine Verlegenheit, ein Ablenken von der eigentlich nicht auf Heiterkeit angelegten Seele des Menschen.»

Und Ablenkung interessiert ihn nicht. Er will das Wahre zeigen. So sind dies denn auch keine strahlenden Schönheiten mit blitzend weissen Zähnen. Sondern von Krankheit gezeichnete Menschen, die kurz vor dem Tod stehen oder gerade gestorben sind. Und diese lachen nicht. Vergangenen Freitag hat die Ausstellung «Noch mal leben vor dem Tod» in der Limmat Hall im Kreis 5 ihre Tore geöffnet. In zahlreichen Städten der Welt feierte sie bereits Erfolge. Auf Initiative der Reformierten Landeskirche Kanton Zürich ist die eindrückliche Schau nun in Zürich zu sehen (siehe rechts).

Nicht gruselig. Fotograf Schels ist zusammen mit seiner Partnerin, der Journalistin Beate Lakotta, angereist. Sie hat die Begleittexte zu den Bilder geschrieben und verrät an der Vernissage, warum diese Arbeit überhaupt entstanden ist: «Aus persönlichen Gründen.» Denn die beiden haben einen Altersunterschied von mehr als dreissig Jahren. «Es gab eine Zeit, wo Walter Angst hatte vor dem Tod und ich davor, ihn zu verlieren.» Sie wollten dem Tod in die Augen sehen in der Hoffnung, dass die Angst dadurch klei­ner würde. «Weil wir beide Berufe haben, die uns dies erlauben, haben wir uns an die Arbeit gemacht.» Während eines Jahres haben sie unheilbar kranke Menschen in einem Berliner Hospiz ge­beten, sie in den letzten Wochen begleiten und vor und nach dem Tod fo­to­gra­fieren zu dürfen. Was dabei rausgekommen ist, ist keinesfalls gruselig oder gar abstossend. Viel mehr berühren die Bilder in ihrer ästhetisch inszenierten Intimität und Ungeschminktheit. In der

weitläufigen Halle kommen die grossformatigen Schwarz-Weiss-Porträts perfekt zur Geltung; die hohen Fenster geben den Blick frei auf die Limmat. «Das Leben fliesst vorbei», sagt Lakotta. Drinnen ist man mit den Geschichten der Toten konfrontiert. «Sie waren froh, mit uns zu reden und erzählten uns Dinge, die sie sonst niemandem sagen konnten.» Lakotta: «Wir waren wie Auffangbehälter.»

Da ist zum Beispiel der Herr Müller, der bei der Bahn arbeitete und fast auf die Minute genau wusste, wann er sterben wird. Als wäre sogar sein Tod nach Fahrplan abgelaufen. Und als Pendant der Herr Wegner, der über ein Jahr im Hospiz lebte, sterben wollte, aber nicht konnte. Als er an der Weihnachtsfeier Orgel spielte, wurde er aufgefordert, das Hospiz zu verlassen. In der Nacht darauf starb er. Oder die Frau Schöffler, die eine ganz «herrische Art» hatte und es gewohnt war, dass die Leute ihr gehorchten. Am Schluss aber sanft und mit ihrem Ex-Mann versöhnt einschlafen durfte. «Manchmal werden die Menschen in der letzten Phase gerade gegenteilig zu dem, wie sie im Leben waren», sagt Schels.

Unter Tränen. Ein Happy End gibt es nicht immer. Der auf den Ausstellungsplakaten abgebildete Werber Heiner Schmitz hatte bis zu seinem Tod ständig Besuch von Freunden. Sie sahen Fussball, tranken Bier. «Doch in seiner existenziellen Not wurde er nicht wahrgenommen, was ihn schmerzte», weiss Schels. Beim Erzählen kämpfen die Beiden immer wieder mit den Tränen. Auch vor dem Bild des kleinen Mädchens, das an einem Hirntumor starb. Es sieht friedlich aus, als würde es schlafen. «Bei Kindern war die Trauer der Eltern schwer zu ertragen», sagt Schels. Dass ihre Kinder in den Bildern weiterleben, war jedoch tröstlich für sie. Ob er die Angst vor dem Sterben jetzt verloren habe? «Nein», antwortet Schels. «Aber vor Toten.» Sein Trauma sass tief: Im Krieg aufgewachsen, musste er als Kind viele Leichen und Leichenteile sehen.

Für Beate Lakotta hat die Ar­beit eine wichtige Erkenntnis ge­bracht: «Viele physische Leiden können heute genommen werden. Die Medizin ist so weit, dass man zumindest hoffen darf, nicht mit allzu grossen Schmerzen aus dem Leben zu scheiden. Und das ist beruhigend.»

Obwohl die Schicksale mitunter sehr traurig sind. Schels sagt den entscheidenden Satz: «Die Besucher verlassen die Ausstellung immer zufrieden. Im Bewusstsein nämlich: Ich lebe noch.»

Seelsorger begleiten die Ausstellung

Die Ausstellung «Noch mal leben vor dem Tod» ist bis am 18. November in der Limmat Hall an der Hardturmstrasse 122 zu sehen. Geöffnet ist sie täglich von 12 bis 20 Uhr, an Samstagen und Sonntagen von 10 bis 18 Uhr. Organisiert wurde sie vom Verein palliative zh+sh in Koope­ration mit der Reformierten und Katholischen Kirche des Kantons Zürich. Verantwortlich auf reformierter Seite ist Mitinitiantin Rita Famos, Pfarrerin und Abteilungsleiterin Spezialseelsorge. Täglich stehen Seelsorgende von 16 bis 18 Uhr für Fragen und Gespräche bereit. Umrahmt wird die Schau von Veranstaltungen rund um die Themen Sterben, Tod und Abschiedskultur. So spricht etwa Professor Simon Peng-Keller über Spiritual Care am Lebensende (18.10, 18–19.30 Uhr); der Theologie-Professor Frank Mathwig über das Sterben aus ethischer Sicht (25.10, 18–19.30 Uhr); die re­for­mierte Spitalseelsorgerin Nicole de Lorenzi erzählt aus der Praxis (28. 10., 18–19.30 Uhr). www.noch-mal-leben-zuerich.ch