Der katholische Blick auf die feiernden Reformierten

Reformation

Abt Urban Federer ist in der Reformationsstadt Zürich aufgewachsen. Eine Selbstverständlichkeit der Ökumene nahm er nach Einsiedeln mit.

Wer sich fünf Jahrhunderte nach der Reformation auf Spurensuche begibt, landet mitunter an recht katholischen Orten. Im Kloster Einsiedeln zum Beispiel. Huldrych Zwingli war hier zwei Jahre Leutpriester. Auch später blieb er dem Kloster in der Innerschweiz verbunden, sein Freund Leo Jud wurde sein Nachfolger in Einsiedeln. Bis heute erhält der Abt das Ehrenbürgerrecht  der Reformationsstadt.

Am Zürichberg in der Diaspora. Urban Federer heisst der amtierende Abt des Benediktinerklosters. Er ist doppelter Zürcher. Am Zürichberg aufgewachsen, wurde er nach seiner Wahl 2013 Ehrenbürger der Stadt Zürich. «Sehr reformiert und liberal» sei das Umfeld gewesen, in dem er gross wurde.

An diesem regnerischen, kühlen Maitag sitzt er im holzgetäferten Besprechungszimmer des Klosters und erzählt von seiner Jugend. Als katholisches Kind habe er sich in der Reformationsstadt nie fremd gefühlt. Statt der gut sichtbaren Kirche Fluntern besuchte er eben die turmlose St.-Martin-Kirche. «Die katholische Frömmigkeit mit Rosenkranzgebet und Prozessionen lernte ich erst in der Innerschweiz kennen.»

Verschwundene Grenzen. Federer brachte nach Einsiedeln das Bewusstsein für eine Ökumene mit, die für ihn selbstverständlich ist. Dazu gehören Freundschaften und das Wissen, dass sich die Konfessionsgrenzen kaum noch an die Geografie halten. Das gilt nicht nur für das multireligiös gewordene Zürich, sondern auch für den Kanton Schwyz mit seinen vielen zugezogenen Reformierten.

Ohnehin sässen beide Kirchen längst im gleichen Boot, sagt Federer. «Viele Menschen leben ihre Spiritualität individuell und lösen traditionelle Bindungen.» Umso wichtiger sei, dass die beiden grossen Kirchen möglichst mit «einer einzigen, christlichen Stimme sprechen». Durchaus auch als Gegenentwurf zur Mehrheitsmeinung, wenn es um Konsum, Menschenwürde oder die Flüchtlingspolitik geht.

Geist der Versöhnung. Die Reformation nicht in Abgrenzung zum Katholizismus zu feiern, lautete das Versprechen vor dem Jubeljahr. Dennoch suchten Politiker in ihren Reden nach den Spuren der Reformation und fanden sie in Eigenverantwortung, Sozialwesen, Marktwirtschaft. Im Umkehrschluss bedeutet katholisch rückständig, undemokratisch. Der Abt widerspricht zu Recht. Er verweist auf die Erneuerungsbewegungen in der Renaissance oder den Frühkapitalismus im katholischen Norditalien.

Nach dem historischen Diskurs schiebt der Abt diplomatisch nach, zum Jubliäum sei es legitim, den Fokus auf die Wirkung der Reformation zu legen. Während Deutschland viel über Luther und wenig über Heute rede, habe das Schweizer Jubiläum die Ökumene immer im Blick gehabt. Federer erwähnt die Bruder-Klaus-Feier vom 1. April in Zug, an der sich Kirchenbundspräsident Gottfried Locher und Bischof Felix Gmür um Verzeihung baten für die Wunden, welche die Kirchenspaltung geschlagen hatte. «Ihre Umarmung war eine wichtige Geste.»

Schmerz der Trennung. Weil die Reformation zur Spaltung führte, «kann sie gar nicht anders gefeiert werden als im Geist der Versöhnung», betont Federer. Für ihn bleibt der Bruch mit Rom ein Scheitern: «Reformation heisst Veränderung, nicht Spaltung.» Luther habe – «von politischen Kräften getrieben» – zu rasch den Alleingang gesucht. Entsprechend verlangt er von jenen Katholiken, die sich heute nach Reformen sehnen, den Dialog – und Geduld. Den gleichen Anspruch hat Federer an konservative Kreise. «Nur Synoden und Konzile, an denen divergierende Kräfte miteinander ins Gespräch kommen, bringen uns weiter.»

Wenn Papst Franziskus den Bischofskonferenzen mehr Autonomie gewähre, könnten Fragen wie jene nach dem Zölibat im Westen vielleicht anders beantwortet werden als anderswo. Das Priestertum für Frauen hingegen nimmt Federer explizit aus. «Diese Frage geht viel tiefer, weil sie das Grundverständnis vom Sakrament des Priestertums betrifft.»

Differenz und Unverständnis. Das Sakramentsverständnis ist für Federer auch die grösste Herausforderung in der Ökumene. Ob beim Abendmahl bald eine Annäherung möglich ist, lässt er offen. Sagt es und beschreibt das konfessionell unterschiedliche Amtsverständnis, das der eucharistischen Gastfreundschaft im Weg stehe. «Die Trennung schmerzt.» Für den Abt scheint dieser Schmerz aber der Stachel, der an die fehlende Einheit der Christen erinnert.

Ökumene bedeutet zuweilen Differenz, vielleicht gar schlichtes Unverständnis. Dann tut Bewegung gut. Auf dem Weg durch die Klostergänge zur Kirche erzählt Federer von seiner intensiven Auseinandersetzung mit der Mystik, die auch die Reformatoren beeinflusste. Im Reden vom Verbindenden, welches das Trennende Gott sei Dank weit überwiegt, landet er schnell bei der Musik. Bei Johann Sebastian Bach zum Beispiel, dem protestantischen Vorzeigekomponisten. Federers Augen leuchten.

Das Geschenk. Eine halbe Stunde später sitzt der Abt mit seinen Brüdern in der Kirche und singt gregorianische Choräle.  Es ist Vesper. Wie zu jedem Tagzeitengebet wird aus der Bibel gelesen. Das Hören auf das Wort ist ziemlich reformiert. Oder so katholisch wie die Mönche. Oder beides. Jedenfalls fand schon zur Zeit der Reformation eine Zürcher Bibel den Weg ins Kloster Einsiedeln. Als Geschenk.