Es ist die Wohnung eines Schriftstellers. Keine Wand kommt ohne Regal aus und kein Regal ohne Bücher. In einer Glasvitrine steht das Gesamtwerk von Luther. «Das habe ich mir statt eines neuen Autos gekauft.» Eine gemütliche Couch lädt zum Diskutieren ein. Geschichten liegen in der Luft, sind mit Händen greifbar.
Hier lebt Ulrich Knellwolf mit seiner Frau. In der Wohnung in Zollikerberg hat der ehemalige Predigerkirche-Pfarrer viele Erzählungen geschrieben, so manchen Essay verfasst. Im Frühling ist nun sein neustes Werk erschienen. Eswartet nicht mit einem knalligen Titel auf – wie «Tod in Sils Maria», eine Sammlung von Kriminalgeschichten, die ihn vor 23 Jahren praktisch über Nacht berühmt gemacht hat. Vielmehr versprichtes Philosophisches, Suchendes. Stückwerke zu Gott und der Welt.
Bitte keine Moral. Die Frage vorweg: Ist dem schreiblustigen Pfarrer das Krimi-Genre verleidet? Die Antwort: «Nein, das hat mit der Theologie zu tun.» Knellwolf lässt sich nicht zweimal bitten, dies zu erklären. «In der traditionellen Kriminalliteratur geht es zentral um Gut und Böse, wie im Märchen. Am Schluss ist der Böse in der Kiste und die Welt wieder in Ordnung. Diesem Schema ist die Theologie des Paulus nahe verwandt.» Ihn reizte es, das Modell des Paulus mithilfe des Krimis auf seine Glaubwürdigkeit zu testen.
Doch spätestens mit Donna Leon und Henning Mankell sei der Krimi zum Transportmittel von moralisierenden Botschaften geworden. Das habebei ihm «eine gewisse Entfremdung» bewirkt. Sein Credo dazu: «Man soll sich nicht zu schnell in Moral flüchten». Das Resultat aus seiner Krimikrise ist das rund 350 Seiten starke Werk auf dem Salontisch, auf das Knellwolf schmunzelnd deutet. Es sind viele Geschichten, die darin erzählt werden, persönliche und biblische. Dabei greift der 74-Jährige tief in die Psychologiekiste, etwa wenn er die Erzählung von Abraham mit Sigmund Freud interpretiert. Oder er nimmt die Philosophen zu Hilfe, wie beim Deutungsversuch der Geschichte des blinden Bartimäus mit Platon.
Warum Gott ein Mann ist. Im Buch erfahren wir viel über den wortgewandten Theologen, der in Olten aufgewachsen ist. Dass er mit seinen Grosseltern in einem «Dreigenerationenhaus» wohnte. Und dort seine Liebe zu Geschichten und Metaphern entdeckte. «Meine Grosseltern waren wandelnde Geschichtenspeicher.» Dabei versteht es Knellwolf, diese persönlichen Anekdoten mit der Bibel in Verbindung zu bringen. So sinniert er ausgehend von der Genesis über den Familienbegriff und über das Vertrauen als Grundlage des Glaubens. Das Buch überrascht ausserdem mit forschen Thesen: Warum Gott eben doch ein Mann ist. «Weil in der Grundmetapher des Lebens, Mutter, Vater, Kind, der Vater die unsichere Person ist. Und weil Gottes Vaterschaft notorisch unsicher ist.»
In all dem ist die Sprache stets tragendes Element, geschmeidig und rhythmisch. Es drängt sich eine Parallele zu Jeremias Gotthelf auf, über den Knellwolf dissertiert hat. Er lacht laut. «Das wäre etwa, wie wenn man den Mount Everest mit dem Uetliberg vergleichen würde.» Seine umgängliche Art täuscht indes nicht darüber hinweg: Dieses Buch ist keine leichte Kost.
Doch Knellwolf wäre kein brillanter Erzähler, wenn es ihm nicht gelänge, auch Nicht-Theologen abzuholen. So schreibt er sehr anschaulich über das Leben des Pharisäers Paulus und dessen Schüler und Jesus-Jünger, den Evangelisten Markus – als wärs ein historischer Spaziergang. Allerdings geht es dann im nächsten Kapitel wieder richtig zur Sache: wenn dargelegt wird, warum das Markusevangelium als Oppositionsschrift gegen die Sünden- und Gnadenlehre von Paulus verstanden werden kann.
Der Talar im Wind. Für Knellwolf ist klar: «Markus wollte nicht, dass das Schicksal Jesu zurReligionsphilosophie für eine intellektuelle Elite wird.» Darum holte er Jesus in seiner Schrift zurück auf die Erde. Evangelist Markus sei ein Mann der Basis gewesen. Eine Position, die Knellwolf gefällt. «Wort und Taten Jesu gehören zusammen.»
Auch der Erfolgsautor blieb stets bei den Menschen. Bis zur Pensionierung arbeitet er in einer Teilzeit-Pfarrstelle im Diakoniewerk Neumünster, wo er heute noch regelmässig predigt. Das tut er meist im Talar, der gerade auf dem Balkon auslüftet und sich im Wind sanft hin und her bewegt.