Seelsorge auf der Achterbahn des Lebens

Kirche

Wo Menschen aus aller Welt das Vergnügen suchen, feiern Diakone ökumenische Gottesdienste und kümmern sich um Gäste und Mitarbeitende. Ein Besuch bei der Kirche im Europa-Park.  

Der Weg vom Büro der Diakone zur Kirche führt einmal quer durch Spanien, an Portugal vorbei nach Skandinavien. Am Anfang aber steht die Ticketkontrolle. «Das ist einer der Mitarbeiter, die uns am besten kennen», sagt Thomas Schneeberger und begrüsst einen älteren Herrn in Europa-Park-Uniform, der ihm und seiner Kollegin Andrea Ziegler die Eintrittskarte scannt. «Wir sehen uns täglich auf einen Schwatz, und wir zwei haben auch denselben Coiffeur», lacht der Diakon und zeigt auf seine Glatze.

Schneeberger und Ziegler gehen durch den Eingang, es folgt eine Familie, die Kinder sind hibbelig, wollen sich ins Vergnügen stürzen. Für die Diakone beginnt der Arbeitsalltag: Sie machen Kirche inmitten von Achterbahnen, Autoscootern und Adrenalin-Flashs.

Taufe im Erlebnisbad

An diesem wolkigen Sommermorgen wirkt für Katholik Schneeberger und Protestantin Ziegler das Wochenende nach. 50-jähriges Jubiläum feierte der Europa-Park im deutschen Rust, eine Gala mit 900 Gästen. Eine eindrückliche Veranstaltung sei es gewesen, sind sie sich einig. Im Windschatten des grossen steht ein kleineres Jubiläum: Seit 20 Jahren sind evangelische und katholische Kirche hier gemeinsam im Einsatz.

Die Arbeit der Diakone ist auf Instagram gut dokumentiert. Ihr Kirchenaccount zeigt grosse ökumenische Gottesdienste, wie jüngst zum Kirchenjubiläum, lustige Clips und auch mal Kasualien: blauer Pool, noch blauerer Himmel, im Hintergrund die Rutsche des neben dem Park gelegenen Erlebnisbads Rulantica. Im Wasser tauft Ziegler Kinder von Parkmitarbeitenden.

Besondere Bedeutung

Mehr als 100 Taufen und Hochzeiten feiern die Diakone im Jahr – meist in einer von zwei Kapellen oder der norwegischen Stabkirche inmitten des Europa-Parks. «Die Heiratswilligen sind oft Stammgäste, die zum Park eine besondere Beziehung haben», erzählen sie beim Kaffee mit Blick auf eine italienische Piazza. Etwa, weil sie sich beim Anstehen für die Achterbahn erstmals begegneten oder bei einem Besuch hier verlobten. «Wir erreichen auch Menschen, die wenig mit Kirche zu tun haben», sagt Ziegler.

 
Und immer wieder kommen Leute auf sie zu, denen der Bezug zur örtlichen Kirchgemeinde fehlt. Den Vergleich mit einer Trauung in Las Vegas lassen die Diakone nicht gelten: «Wir machen keine schnellen Drive-in-Trauungen!» In Vorgesprächen lernen sie Hochzeitspaare und Taufeltern kennen. Zudem sind sie für die rund 5250 Mitarbeitenden da, gestalten Gedenkfeiern für verstorbene Kolleginnen und Kollegen. «Auch mal am Arbeitsort, und sei es die Umkleidekabine des Reinigungspersonals», sagt Ziegler. 

Der Besuch in der Kirche muss noch warten, die Seelsorgenden machen sich auf den Weg zum Termin mit dem «reformiert.»-Fotografen. Die Schreie der Leute, die mit der Euro-Mir-Achterbahn fahren, gellen bis Luxemburg. Da bittet eine Frau mit Teenager-Tochter die beiden um ein Selfie.

Zum 31. Mal ist sie hier, sie kennt die Diakone durch Instagram. Im Dezember wolle sie wiederkommen, ob dann ein persönliches Gespräch möglich wäre? In ihren Augen glänzen Tränen. Vor fünf Jahren sei ihr Vater gestorben, und noch immer schmerze der Verlust. «Er hat mir als Kind den Park gezeigt.» Auf dem Handy präsentiert sie Fotos ihrer Tochter bei der Firmung. «Ich bin gläubig, habe aber wenig Kontakt zu meiner Kirchgemeinde, schon weil ich sonntags immer arbeite.» Die Kirche im Europa-Park, sagt sie, «ist eine Kirche für alle».

Der Glaube als etwas Vertrautes

Begegnungen wie diese führten ihm die Sinnhaftigkeit seiner Arbeit vor Augen, sagt Schneeberger. Als Krankenpfleger brachte ihn die Arbeit mit Schwerkranken zum Theologiestudium. Dann war er als Diakon für Jugendliche in schwierigen Lebenslagen tätig. Den Europa-Park hatte er nie besucht. Als er vor drei Jahren für die Stelle angefragt worden sei, habe er gezögert, ob er dafür der Richtige sei, erzählt er.

Ähnlich ging es Ziegler, die bis 2020 als Jugendreferentin gearbeitet hatte. «Ein Freizeitpark bietet eine Flucht von den Problemen der Welt», sagt sie. «Orte wie dieser sind wichtig, um für den oft schwierigen Alltag Kraft zu schöpfen.» In Österreich essen die Diakone zu Mittag, im Erdgeschoss eines wimpelverzierten Restaurants ist die Personalkantine versteckt. In einer Ecke hängen Bilder von Firmengründer Franz Mack. Zwar werden die Diakone von ihren Kirchen finanziert, doch die katholische Eigentümerfamilie hat den Kirchen das Tor zum Europa-Park geöffnet.


Der Glaube sei zu Hause immer präsent gewesen, nie laut und aufdringlich, einfach als etwas Vertrautes, schreibt Mauritia Mack, Frau des Europa-Park-Inhabers Jürgen Mack, auf Anfrage. So habe ihre Schwiegermutter Liesel Mack bei geschäftlichen Dingen jeweils gemahnt, «bei alldem den Herrgott nicht zu vergessen». Die Kirche im Europa-Park stehe «für Besinnung, für das Innehalten und das Menschsein im Trubel des Alltags», schreibt Mack. Für ein friedliches Miteinander über Ländergrenzen, Kulturen und Religionen hinweg.

Über dem Tisch bei der Bilderwand prangt das Schild «Stammtisch Franz Mack». «Ob das wohl stimmt?», rätseln die Diakone. «Der Park ist ein Ort voller Geschichten», sagt Ziegler. Storytelling, an dem sich die Kirche orientieren kann: Auch das sei Teil des Auftrags. «Wir sind hier Kirche im Labor.»

2023 trafen sich Kirchenentwickler, um zu diskutieren, was man vom Freizeitpark lernen kann. Ziegler bringt ein Beispiel: «Schon beim Eingang einer Bahn wird eine Geschichte erzählt.» In der Bahn «Piraten in Batavia» etwa warten die Parkbesucher in einem historischen Lagerhaus-Nachbau. «Dagegen erinnern manche Kircheneingänge doch eher an Abstellräume.»

Ein Ergebnis dieser Überlegungen ist das Plüschmaskottchen Joy. Die Hummel mit Engelsflügeln und Heiligenschein begleitet die Diakone als Handpuppe bei ihren Einsätzen, sie hat sogar einen eigenen Song. Auch von der Willkommenskultur im Park könne die Kirche lernen, findet Thomas Schneeberger. «Niemand fragt, wer du bist und woher du kommst. Die Warteschlange ist für alle gleich.» Am Ende des Tages sollten die Leute zufrieden nach Hause gehen. «Ist dies nicht auch unsere Aufgabe als kirchliche Mitarbeiter? Ich nenne das die Vision von gelungenem Leben.»

Am Nachmittag treffen die Seelsorgenden eine der vielen Freiwilligen, die sie unterstützen. Die junge Frau ist hauptberuflich im Onlinemarketing tätig und hilft mit den sozialen Medien. Im Café des Hotels Colosseo rollt Schneeberger ein Plakat des Kirchenjahres aus. In Clips auf Instagram wollen die Diakone bald die wichtigsten Feiertage vorstellen. Das Format: «Joy fragt».

Später verabschiedet sich Schneeberger, er hat Termine. Und Ziegler macht sich noch mal auf den Weg. Durch Spanien, vorbei an Portugal. Umgeben von Raftingbahn, Monorail und Schiffschaukel steht sie da: die norwegische Stabkirche. Die Türen der Holzkirche stehen offen, innen erklingt leise Streichmusik. Drei junge Erwachsene kommen herein, in Hoodies und Trainerhosen. Kurz diskutieren sie, ob das wohl «eine echte Kirche» sei. Dann nimmt einer der jungen Männer seine Sonnenbrille ab, kniet sich hin und bekreuzigt sich unter dem grossen hängenden Holzkreuz.