"Der Mensch ist nicht die Krone der Schöpfung"

Forschung

Was geschieht mit uns nach dem Tod? Der Physiker Markolf H. Niemz hat das Jenseits erforscht.

Herr Niemz, Sie behaupten, die Ewigkeit entschlüsseln zu können. Übertreiben Sie da nicht ein bisschen?

MARKOLF H. NIEMZ: Ich denke, dass ich einen schlüssigen Zugang gefunden habe, wie man sich Ewigkeit wissenschaftlich vorstellen kann. Allerdings möchte ich nicht den Eindruck erwecken, dass die Physik erklären könnte, wie die Ewigkeit beschaffen ist.

Wie können wir uns die Ewigkeit vorstellen?

Für mich ist die Ewigkeit gleichzusetzen mit der Perspektive des Lichts. Die Ewigkeit ist für mich etwas Vollkommenes, in der es deshalb kein Weiterleben geben kann und braucht. Bestandteil der Ewigkeit ist, was wir uns im Leben an Liebe und Wissen aneignen. Licht ist Information. Im Gegensatz zum Dunkel. Wir brauchen Information zum Leben. Alle Information wandert ins Licht.

Sie sind bekennender Christ und glauben nicht an ein Leben nach dem Tod?

Nein, auch wenn das in meinem ersten Buch vor zwölf Jahren noch anders formuliert war. Ich bin ein Mensch und als Mensch entwickle ich mich weiter. Auch Christen glauben ja nicht an ein Leben als neuer physischer Mensch nach dem Tod. Es gibt zwar Pfarrer, die von Wiedersehen mit Verstorbenen sprechen und so vielleicht falsche Hoffnungen wecken. Das ist eine naive Vorstellung von einem Leben nach dem Tod. Ich glaube sehr wohl an die Auferstehung im Sinne von Erneuerung, die sich auch in der Natur zeigt. Was aber wohl nicht auferstehen wird, ist das Ich, das Selbst.

Was bleibt denn von uns?

Alles, was wir an Liebe gegeben haben und all unser Wissen. Es wird gespeichert im Licht der Ewigkeit. Wir sind Teil eines grossen Ganzen und von allem abhängig. Das hat auch die Wissenschaft erkannt mit Charles Darwins Evolutions-, Albert Einsteins Relativitäts- und Werner Heisenbergs Quantentheorie. Der Mensch ist eben nicht die Krone der Schöpfung. Mir ist es wichtig, diese Theorien miteinander zu verbinden und mit der Kirche ins Gespräch zu kommen.

Sie haben sich mit der Erforschung des Lebens nach dem Tod auseinandergesetzt. Was hat Sie als Physiker dazu bewogen?

Ich komme aus der Laserphysik und habe mich intensiv mit dem Licht auseinandergesetzt. Seit Albert Einsteins Relativitätstheorie wissen wir, dass für das Licht die Wirklichkeit anders aussieht als für uns. Wir stellen uns die Welt ordentlich aufgeteilt in Zeit und Raum vor, aber für das Licht gibt es keinen Raum und keine Zeit. Das heisst, wenn wir aus der Perspektive des Lichtes denken, gibt es keine Individualität, kein Gegenüber, kein Nacheinander, nicht zuerst Leben, dann Tod. Ausserdem: Wir forschen auf dem Gebiet von Biosignalen und entwickeln Geräte für Intensivstationen für die Überwachung von Patienten. In einer grossen Klinik passiert es beinahe täglich, dass ein Mensch einen Herzstilltand hat und eine Nahtoderfahrung macht.

Was erzählen diese Menschen?

Je nachdem in welcher Sterbephase sie sich befunden haben, erzählen sie von Gefühlen des Entspanntseins, der Harmonie, machen ausserkörperliche Erfahrungen, wie über dem eigenen Körper schweben, oder erzählen vom Durchqueren dunkler Tunnels einem Licht entgegen. Wiederbelebte, die die letzten Phasen des Sterbens erreichten, sprechen von Licht und wunderschönen Landschaften. Statistiken belegen, dass neunzig Prozent aller Wiederbelebten nicht wiederbelebt werden wollten.

Es kommt also nicht darauf an, wie wir leben, wenn Sterben für alle schön ist?

Eine wichtige Frage. Doch es kommt darauf an. Denn während des Sterbeprozesses findet wohl eine Lebensrückschau statt. Viele sagten aus, dass sie ihr Leben noch einmal erlebt haben. Dabei erfuhren sie aus der Perspektive der anderen, was sie an Liebe oder eben nicht weitergegeben haben. Das kann demnnach je nach Lebenswandel eine negative Sterbeerfahrung werden. Das Sterben sei die grösste Lernerfahrung, die wir machen werden, sagte mir eine wiederbelebte Patientin. Spätestens wenn ich sterbe, spüre ich, was ich anderen an Leid zugefügt habe. Wenn ich viel Liebe gegeben habe, dann muss das Sterben eine wunderbare Erfahrung sein.

Das hört sich an wie Berichte aus Heiligen Schriften.

Ja, in etwa schon. Und ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Ich glaube dass viele Texte in Heiligen Schriften von Menschen geschrieben wurden, die bereits Nahtoderfahrungen hatten. Nehmen wir zum Beispiel das Tibetische Totenbuch, aber auch viele biblische Gleichnisse scheinen aus einer Nahtoderfahrung gewonnen zu sein.

Wollen Sie mit Ihren Forschungen Menschen die Angst vor dem Sterben nehmen?

Nun, das wünsche ich mir. Es ist ein Fehler, das Sterben zu tabuisieren. Das Sterben ist vermutlich der wichtigste Bestandteil im Leben.

Sie messen auch die Hirnaktivität bei Achtsamkeit. Was haben Sie entdeckt?

Wir wollen herausfinden, ob man Achtsamkeit trainieren kann. Ich glaube, dass unsere Welt darunter leidet, dass wir zu wenig achtsam sind, mit uns selbst, mit anderen. Wir achten zu wenig auf die kleinen Dinge, wie etwa diese Blumen auf dem Tisch. Wir leben in dem Wahn, dass jeder für sich wichtig sein muss. Konflikte entstehen, weil das Ich zu stark im Mittelpunkt steht. Gemäss Studien weisen die Hirnströme der Menschen, die Achtsamkeit üben, ein viel ausgeglicheneres Aktivitätsmuster auf. Wer achtsam ist, lebt zufriedener.

Markolf H. Niemz, 53

Im Rahmen einer Veranstaltungsreihe zum Reformationsjubiläum gastierte Markolf H. Niemz in Davos. Er ist Physiker und Professor für Medizintechnik an der Universität Heidelberg und der Medizinischen Fakultät Mannheim. Für seine Forschungen zur Lasermedizin erhielt er von der Heidelberger Akademie

der Wissenschaften den Karl-Freudenberg-Preis. Mit seinen Erkenntnissen aus der Sterbeforschung ist er ein gern gesehener Referent bei Hospizvereinen. Im kommenden Herbst erscheint sein neues Buch mit dem Titel «Ich-Wahn».