Recherche 24. November 2020, von Felix Reich

Der Roboter in der Kirche löst eine heftige Debatte aus

Theologie

Ein segnender Roboter gastierte in der Stadtkirche Winterthur. Er machte spirituelle Bedürfnisse vieler Menschen sichtbar und löste zugleich heftige Abwehrreaktionen aus.

Genau das habe sie jetzt gebraucht: einen Segensspruch auf den Weg, ohne angeschaut und beurteilt zu werden, ohne Fragen beantworten zu müssen. So hat es eine Besucherin der Winterthurer Stadtkirche der Pfarrerin Delaja Mösinger erzählt. Dort stand Anfang November der Roboter «BlessU-2», der einst als Kunstinstallation zum deutschen Reformationsjubiläum gebaut wurde.

Segen ohne Urteil

Der ausgediente Bankomat kann die leuchtenden Arme heben und in unterschiedlichen Sprachen den Segen sprechen. Für Mösinger ist die Rückmeldung der Frau ein Beispiel für die Bedürfnisse, die der Roboter sichtbar gemacht habe: «Gottes Segen zu erhalten, ohne dass sich jemand ein Bild von mir macht.»

Es ist geschmacklos, eine infantil gestaltete Blechkiste in die Kirche zu stellen, während auf den Intensivstationen Menschenleben tatsächlich an Maschinen hängen.
Michael Baumann, Pfarrer

Nicht alle Begegnungen mit dem Roboter verliefen harmonisch. Mösinger berichtet auch von «heftigen Reaktionen». Scharfe Kritik kommt von Pfarrer Michael Baumann aus Wiesendangen. Ihm fehlt in der Auseinandersetzung mit der künstlichen Intelligenz die Ernsthaftigkeit: «Es ist geschmacklos, eine infantil gestaltete Blechkiste in die Kirche zu stellen, während auf den Intensivstationen Menschenleben tatsächlich an Maschinen hängen.»

Segen braucht Leben

Baumann beharrt darauf, dass eine Segenshandlung zwei Menschen benötigt, «die in einer Beziehung stehen zu Gott». Der Roboter suggeriere einen «theologisch fragwürdigen Automatismus», indem er den Segen auf Knopfdruck ausspucke wie der Automat im Büro den Kaffee. Wer jemanden segne, müsse um den unverfügbaren Segen Gottes bitten. «Wenn nun die Bitte wegfällt, wird Gott durch die Maschine ersetzt.»

Eine solche Fundamentalkritik übersehe gerade jene Menschen, die dem Roboter gegenübertreten, entgegnet Mösinger. Sie wüssten genau, dass der Roboter nicht über Gott verfüge. «Aber vielleicht werden sie vom Segen unverhofft angesprochen und machen eine religiöse Erfahrung.» Solche spirituellen Erlebnisse seien ernst zu nehmen, bestätigt Theologieprofessor Thomas Schlag. Er forscht zu Digitalisierung und Religion und kennt neben «BlessU-2» auch die sprechende Marienstatue «Santo» und Mindar, den buddhistischen Roboterpriester.

Individualisierter Segen

Eine religiöse Erfahrung als unecht abzutun, weil sie durch eine Maschine ausgelöst wurde, «greift zu kurz», sagt Schlag. Er verweist darauf, dass das Göttliche immer durch ein Medium offenbarend in Erscheinung trete: «Das Göttliche ereignet sich im Gläubigen selbst, der auf religiöse Texte oder Musik reagiert.» Genauso wenig wie die segnende Pfarrerin heilig sei, hafte an der Maschine als solcher etwas Gött­liches an, sagt Schlag. «Dass Gott durch Roboter wirken kann, ist dennoch nicht auszuschliessen.»

Berührt werden gleich drei Themen, die verunsichern: Digitalisierung, Individualisierung des Glaubens, die künftige Rolle der Pfarrpersonen.
Thomas Schlag, Theologieprofessor

Dass der Roboter in der Kirche ­eine Kontroverse befeuerte, überrascht den Experten nicht. «Berührt werden gleich drei Themen, die verunsichern: Digitalisierung, Individualisierung des Glaubens, die künftige Rolle der Pfarrpersonen.» Allen Fragen müsse sich die Kirche stellen.

Kein Exklusivrecht auf das Segnen

Schlag hofft, dass dank des Roboters Gemeinden «ernsthaft diskutieren», was es bedeutet, Gemeinschaft von Gesegneten und Segnenden zu sein. «Der Segen sollte im Zusammenleben wirksam werden.» Und wichtig ist dem Theologen, dass das Segnen keineswegs ein Exklusivrecht der Pfarrpersonen ist: «In der Bibel segnen Propheten und Könige, Mütter und Väter mitten im Alltag.»

Schlag könnte sich Segensroboter als Dauergäste vorstellen in der Kirche. «Nicht im Zentrum, sondern eher in einer Nische als Angebot für die individuelle Andacht und zur theologischen Reflexion.» 

Zum Geld der Segen

Pfarrerin Delaja Mösinger ist da zurückhaltender. «Der Roboter gibt wichtige Impulse, aber um die Kontroverse aufzufangen und das Verständnis der Menschen füreinander zu fördern, braucht es neben ihm eine Seelsorgerin.»

Der Roboter könnte den Segen Gottes dorthin bringen, wo die Kirche nicht hinkommt
Delaja Mösinger, Pfarrerin

Vielleicht sei die Kirche gar nicht der ideale Ort für den Automaten: «Er könnte den Segen Gottes dorthin bringen, wo die Kirche nicht hinkommt», sagt Mösinger. Zum Beispiel, indem «BlessU-2» zu seinen alten Kollegen zurückkehrt, und Leuten, die Geld abheben, ein Bibelwort mitgibt auf den Weg.