Der unbekannte Star

Spiritualität

Spiritualität/ Lytta Basset hat mit ihren Büchern im französischsprachigen Raum viel Erfolg. Ihre Theologie orientiert sich radikal an gelebter Erfahrung.

Kürzlich ist Lytta Basset in Zürich aufgetreten. In der französischsprachigen reformierten Kirchgemeinde hat sie über die Verheerungen des Erbsünde-Dogmas gesprochen. Und sie erzählte vom lohnenden Wagnis, jedem Menschen vorbehaltlos wohlwollend zu begegnen.

In der Deutschschweiz kennt man die Theologin kaum, in der Romandie, in Frankreich, Belgien und Frankokanada aber weit über die kirchlichen Kreise hinaus. In der Studie zur Zukunft der Kirchen von 2010 konstatierte der Soziologe Jörg Stolz, die Reformierten hätten nur zwei eigentliche Stars vorzuweisen: Ernst Sieber in der Deutschschweiz, Lytta Basset in der Westschweiz.

Eine lebende Tote. Ihre Popularität verdankt die Philosophin, Pfarrerin und ehemalige Professorin für Praktische Theologie an der Neuenburger Universität vor allem ihren Büchern. Die sind im evangelischen Westschweizer Verlag Labor et Fides wie auch im renommierten Pariser Verlag Albin Michel erschienen. Auf Deutsch wurde nur eines übersetzt, so schlecht, dass es sofort wieder aus dem Handel genommen werden musste.

Die Themen von Basset drehen sich um erfahrenes Leid, zerstörtes Vertrauen, tiefste Verzweiflung, heilige Wut, Freude, Heilung, umfassende Liebe. Und um ein Leben in Fülle, das Reich Gottes im Hier und Jetzt. Dabei orientiert sie sich radikal an gelebten Erfahrungen. Man könnte ihr Werk in die Schublade für spirituelle Lebenshilfe stecken. Basset argumentiert aber theologisch durchaus anspruchsvoll. Und einfache Rezepte zur Lebensgestaltung gibt sie keine. Wenn sie vom Leiden spricht, wird klar, wie sehr sie selber schon gelitten hat.

«Nach dem Suizid unseres Sohnes war ich eine lebende Tote», erzählt die Theologin in ihrem Haus im waadtländischen Préverenges. Ihr Ältester nahm sich mit 24 Jahren das Leben, das war 2001. Sechs Jahre später publizierte sie das Buch «Ce lien qui ne meurt jamais», die Verbindung, die niemals stirbt. «Immer, wenn ich am Ertrinken war unter einem entsetzlich leeren Himmel, kam ein Mensch, der mir etwas Gutes tat», sagt sie im Gespräch. Die Mitmenschen hätten sie gerettet, die vielen kleinen und grossen Gesten der Zuwendung.

Gott wirkt durch Menschen. «Seither glaube ich noch fester an einen horizontalen Gott, ein Gott der durch die anderen Menschen wirkt.» Beziehung ist ihr Schlüsselthema. «Wir hören einander nicht genug zu», sagt sie. Dabei wäre das gerade in der heutigen Zeit so wichtig, wo sich Verunsicherung und Angst breitmachten angesichts der vielen Herausforderungen. Und wo so viele Leute das Gefühl hätten, zu kurz zu kommen, nicht ernst genommen zu werden.

«Auch in den Kirchen hören wir einander nicht zu», kritisiert die Theologin. Sie hält nichts von Abgrenzungen, etwa zwischen Freikirchen und Landeskirchen. Warum nicht miteinander ringen, statt sich aus dem Weg zu gehen, wenn man sich nicht einig sei? «Wir könnten so viel Gutes bewirken, wenn wir in unseren Kirchen eine andere Gesprächskultur vorlebten.» Wer sich zum Beispiel schwer tue mit Flüchtlingen oder mit Homosexuellen, werde oft integral abgelehnt. Für sie ist klar: Menschen auszugrenzen, widerspricht dem Geist des Evangeliums. «Aber genauso falsch ist es, darauf selber mit Ausgrenzung zu reagieren.» Nehme man die Ängste der Gegenseite ernst, könnten Wunder geschehen. «Und wenn man dafür monatelang zuhören und miteinander reden muss – dann macht man das halt.»

In ihrer Zeit als Professorin hat Basset eine universitäre Weiterbildung für spirituelle Begleitung aufgebaut, die Teilnehmer kommen aus unterschiedlichsten Berufen. Seit die Theologische Fakultät in Neuenburg 2015 ihre Tore geschlossen hat, wird der Studiengang von einem Verein weitergeführt. Im Februar findet er erstmals auch in Frankreich statt.

Im Gebet. Spirituelle Begleitungen macht die Theologin seit dreissig Jahren auch selber. Rund 25 Personen besuchen sie mehr oder weniger regelmässig. Auch wenn sie durchaus Elemente aus der Psychotherapie anwende, sei der Unterschied klar deklariert: Bei der spirituellen Begleitung ist das Andere, das Transzendente, Gott mit von der Partie. «Wir sind zu dritt», sagt die Seelsorgerin. Mit dazu gehört für sie, täglich zu beten für die Menschen, die sich ihr anvertrauen.

Vorträge, Bücher und Begleitung

Lytta Basset wurde als Tochter französisch-schweizerischer Eltern auf Thaiti geboren, ihr Vater war Missionspfarrer, ihre Mutter Dichterin. Sie hat Philosophie und Theologie studiert, war siebzehn Jahre lang Pfarrerin in Genf und von 1998 bis 2015 Professorin für Praktische Theologie in Lausanne und Neuenburg. Basset hat zahlreiche Bücher verfasst, ihr nächstes erscheint im März bei Albin Michel. Die Theologin ist Gründerin des Verein AASPIR, der Aus- und Weiterbildungen im Bereich Seelsorge und Spiritualität anbietet.

www.aaspir.ch