Recherche 05. November 2020, von Felix Reich

Die fortschrittlichen Katholiken

Konfession

Die Christkatholiken sind eine kleine Minderheit. Mit der Augustinerkirche verfügen sie in der Zürcher Altstadt über eine Kirche, die vor 750 Jahren als Kloster gegründet wurde.

Eigentlich haben die Christkatholiken jene Kirche, von der progressive Kräfte in der römisch-katholischen Kirche träumen: Frauen steht der Weg bis ins Bischofsamt offen, Priester dürfen heiraten, die Kirche ist demokratisch organisiert.

Doch statt von den frustrierten Katholiken überrannt zu werden, blieb die christkatholische Kirche ­eine kleine Minderheit. Im Kanton Zürich, wo sie lange schon öffentlich-rechtlich anerkannt ist, zählt sie knapp 1500 Mitglieder und unterhält drei Kirchen: die Augustinerkirche in der Zürcher Altstadt, die Christuskirche in Oerlikon sowie die Kapelle St. Michael in Winterthur. Hinzu kommt die Elisabethenkirche in Zürich-Wiedikon, welche sie an die serbisch-orthodoxe Gemeinde vermietet hat.

Der Bruch mit Rom

Die Geburtsstunde der christkatholischen Kirche ist das Erste Vatikanische Konzil von 1870. Damals erhob sich der Papst kirchenrechtlich über alle Bischöfe und beanspruchte für sich die Unfehlbarkeit. Geistliche und Kirchgemeinden, die sich gegen die neuen Dogmen wehrten, wurden exkommuniziert.

Die in der Schweiz, Deutschland und Österreich nun neu entstandenen Kirchen schlossen sich der bereits im 18. Jahrhundert gegründeten Utrechter Union an. Sie wollten trotz des Bruchs mit Rom Weltkirche bleiben und streckten die Fühler nach Canterbury und Konstantinopel aus. Schnell einigten sie sich mit den Anglikanern auf die Anerkennung der Priesterweihe. Die Koalition mit den Orthodoxen scheiterte spätestens an der Frauenfrage.

Volkskirche trotz allem

«Wir beweisen, dass die Pflege der alten Liturgie gut mit einer progressiven Theologie zusammengeht», sagt Lars Simpson. Der christkatholische Pfarrer sitzt im italienischen Restaurant neben der Augustinerkirche, deren Grundstein vor 750 Jahren gelegt wurde. Auch die Restaurantparzelle gehörte einst zur Klosteranlage. Um Geld für die Restaurierung zu haben, verkauften die Christkatholiken das Gebäude.

Obwohl Simpson einer kleinen Gemeinde vorsteht, ist er ein volkskirchlicher Pfarrer. Bald tauft er das Kind des Wirts, der römisch-katholisch ist, aber in Zürich halt sonst keinen Pfarrer kennt. Simpson wurde in England zum anglikanischen Priester geweiht. Eine Freundschaft führte ihn nach Bern, wo er am christkatholischen Institut Theologie studierte. Die Liebe liess ihn in der Schweiz bleiben.

Das grosse anglikanische Dach

Theologische Eingewöhnungszeit brauchte Simpson nicht: «Die anglikanische Kirche reicht von urprotestantisch bis schwarzkatholisch.» Neu sei gewesen, nicht mehr als Pfarrer angesprochen zu werden auf der Gasse, beim Einkauf. Wohl auch deshalb baute Simpson viel­fältige ökumenische Beziehungen auf.

In der Kirchenmusik arbeitet die Augustinerkirche mit dem Offenen St. Jakob zusammen, die wöchentlichen Halte­stille-Andachten gestalten der römisch-katholische Seelsorger Thomas Münch von der Predigerkirche, der reformierte Pfarrer Ulrich Greminger vom benachbarten St. Peter und Simpson.

Das Ende der Rechthaberei

Ebenso bezeugen die Gratulationen der Schwesterkirchen zum Jubiläum der Augustinerkirche den guten Geist der Ökumene. So zitieren die katholische Synodalratspräsidentin Franziska Driessen und Generalvikar Josef Annen Augustinus: «Besser kennt Gott, wer ihn nicht zu kennen bekennt.» Zum Glück seien die Zeiten der Rechthaberei vorbei.

Auch für Simpson ist der Auftrag, das Evangelium zu verkünden, zentral. «Konfessionelle Streitigkeiten können wir uns längst nicht mehr leisten.» Eigene Akzente setzen die Christkatholiken freilich dennoch. So befürworten sie in der Schweiz die Ehe für homosexuelle Paare. Um den Preis, dass die in letzter Zeit verbesserte Beziehung zu den Orthodoxen nun wieder kompliziert werden dürfte.

Augustinerkirche wird 750 Jahre alt

Die ersten Augustinermönche kamen 1265 nach Zürich. Auf dem heutigen Münzplatz gründeten sie 1270 ihr Kloster. Während der Reformation wurde es 1524 aufgehoben und diente fortan als Trotte, Kornlager, Almosenamt oder Münzgiesserei. Nach ­einem Umbau wurde 1844 der erste katho­lische Gottesdienst seit der Reformation gefeiert. Neun Jahre, nachdem der Regierungsrat die Kirche der römisch-katholischen Gemeinde übergeben hatte, gründete sich die christ­katholische Kirchgemeinde. 1958 wurde die Augustinerkirche nach historischen Bildern restauriert.

Ausstellung bis 31. 6.  21, Augustinerkirche