Die letzten Ferien waren super, der Job ist total kreativ, mit den Kindern verbringen wir Quality-Time und unser Gewicht und die Beziehungen haben wir im Griff. Alles läuft grossartig. Wer aber in der Welt der Superlative nicht mithalten kann, hat ein Problem. Und wer gar von einem Schicksalsschlag ereilt wird, kann sich nur retten, indem er flugs die Trauerarbeit angeht, erkennt, was das Ereignis mit ihm zu tun hat, um dann möglichst schnell wieder auf der allgemeinen Erfolgswelle mitzureiten.
Vor diesem Hintergrund ist die Geschichte Hiobs kaum mehr nachzuvollziehen. Ihm wird zuerst sein Besitz, dann seine Familie und zuletzt seine Gesundheit genommen. Der schwer erschütterte Mann hadert zwar mit Gott, ergibt sich aber in sein Leid und akzeptiert das Schicksal. Ziemlich anachronistisch in einer Gesellschaft, in der jeder für sein Glück selber verantwortlich ist.
Wer leidet, vertieft glauben. Ein öffentliches interreligiöses Symposium im Haus der Religionen in Bern widmet sich der grossen menschlichen Frage nach dem Leiden. Aus den drei monotheistischen Religionen ist je ein Referent eingeladen. Der St. Galler Rabbiner Tovia Ben-Chorin beispielsweise interpretiert die Geschichte so, dass bei Hiob deutlich werde, wie das menschliche Leiden zur Gotteserfahrung gehöre. Seine schweren Verluste, sein Schmerz würden zum Teil des Glaubens und Vertrauens in Gott, den Schöpfer. «Wer die Schöpfung in ihrer Dialektik erlebt, in all ihren Gegensätzen und ihrer Harmonie, vertieft seine Beziehung zu Gott.» Leiden ist für Tovia Ben-Chorin also keine Strafe, sondern vielmehr eine existenzielle Erfahrung, die den Menschen in seinem Glauben stärken kann.
Wer leidet, ist nicht schuld. Aber wie kann Gott das Leiden Unschuldiger überhaupt zulassen? Brigitta Rotach, Mitorganisatorin und Leiterin der Kulturprogramme im Haus der Religionen, betont, im Buch Hiob werde radikal infrage gestellt, dass Unglück und Leid immer Folgen von falschem Verhalten seien: «Wenn Menschen leiden, ist es bis heute zentral zu betonen, dass sie nicht an allem selber schuld sind. Auch wenn die moderne Hobbypsychologie oft darauf abzielt.»