Die Glocken läuten für den Frieden

Gedenken

Am 8. Mai läuten in der ganzen Stadt Zürich um 16.45 Uhr die Glocken. Sie erinnern an das Ende des Zweiten Welt­kriegs vor siebzig Jahren. Aber nicht nur.

8. Mai 1945 in Zürich: Es ist ein schöner, warmer Tag, die Kinder haben schulfrei. «Wegen Frieden geschlossen», steht an vielen Ladentüren. Um elf Uhr läuten alle Kirchenglocken eine halbe Stunde lang, abends um acht dann nochmals eine Viertelstunde, und zwar schweizweit. Die NZZ berichtet: «Fahnen, Gesang, feierndes und festendes Volk, Kirchen mit ergriffenen Gemeinden, all das ein Ausdruck der Freude über den Abschluss des grössten Welttrauerspiels.»

Die Frage der Stadt. Seither läuteten die Glocken nicht oft zu ausserkirchlichen Ereignissen. Das letzte Mal erklangen sie am 5. Januar 2005 im Gedenken an die Opfer des Tsunami, und zuvor zweimal im September 2001 – nach den Terroranschlägen in den USA und dem Amoklauf in Zug. Wieso nun ein so starkes Zeichen in Zürich zum 70. Jahrestag des Kriegsendes? Zum einen sind die Kirchen von der Stadt darum gebeten worden. Stadtpräsidentin Mauch wird an diesem Freitag eine Gedenktafel am Bürkliplatz enthüllen. Doch das Geläut von 16.45 bis 17 Uhr soll mehr sein als Begleitmusik für den Gedenkanlass.

«Nie mehr seit dem Zweiten Weltkrieg waren so viele Menschen auf der Flucht wie heute», sagt Andreas Hurter, Präsident des reformierten Stadtverbands. Mehr als 56 Millionen sind es laut UNO, und allein im letzten Jahr sind mindestens 3000 Menschen auf der Flucht vor Not und Elend im Mittelmeer ertrunken. Das Glockengeläut am 8. Mai möchte Hurter deshalb nicht nur als Erinnerung an vergangene Schrecken verstanden wissen. «Sie sollen zum Einsatz für den Frieden aufrufen, zur Nächstenliebe gegenüber den Menschen, die heute Opfer von Krieg und Terror sind.»

Wohnungen für Flüchtlinge. Dass sich die Kirchen für Flüchtlinge einsetzen, hat eine lange Tradition. Und auch heute gibt es Mittagstische, Asyl­treffs, Deutschkurse. Im Bundesasylzentrum Juch sind die reformierten und katholischen Kirchen mit Seelsorgern präsent, Kirchgemeinden sammeln Schuhe und Kleider für Neuankömmlinge, und Freiwillige der Kirchgemeinde Altstetten organisieren Ausflüge für die Bewohner. Und seit Jahren engagiert sich das stark von kirchlichen Kreisen mitgetragene «Solinetz Zürich» in vielfältiger Weise für Flüchtlinge und Sans-Papiers.

Neu hinzugekommen ist die Hilfe bei der Suche nach Wohnraum. So vermietet die Kirchgemeinde Neumünster nun Wohnungen an Flüchtlinge aus Eritrea und Syrien. Eine siebenköpfige Familie ist schon eingezogen, eine weitere wird dieser Tage ankommen. Auch die Kirchgemeinde Höngg prüft die Möglichkeit, in einem Pfarrhaus Flüchtlinge unterzubringen.

Nach dem Aufenthalt in einem kantonalen Durchgangszentrum werden die Asylsuchenden auf die Gemeinden verteilt. Sobald aber jemand vorläufig oder definitiv aufgenommen wird, braucht er eine eigene Wohnung. «Doch insbesondere für Familien ist es sehr schwierig, bezahlbare Unterkünfte zu finden», sagt Gabriela Bregenzer. Das führe dazu, dass die Flüchtlinge länger als nötig in den Asylunterkünften blieben und diese für Neuankömmlinge blockierten. Die Migrationsverantwortliche der reformierten Zürcher Landeskirche erhält einerseits Anrufe von Wohnungssuchenden und andererseits von Privatpersonen, die Flüchtlinge aufnehmen möchten. Denen, die eine Wohnung vermieten wollen, empfiehlt sie, dieses Angebot dem Sozialdienst der Gemeinde zu unterbreiten. Doch das klappt nicht immer. Denn die eine Gemeinde hat vielleicht die nötigen Unterkünfte schon gefunden, während andernorts verzweifelt gesucht wird.

Ferien am See. Am Freitag, 8. Mai, läuten nicht nur die Kirchenglocken in Zürich. An diesem Tag startet die reformierte Landeskirche des Kantons zudem ihre Aktion «Flucht.Punkt – Kirchgemeinden heissen Flüchtlinge willkommen». Die Kirchgemeinden sollen ermutigt werden, dem Beispiel Neumünster zu folgen und wenig genutzte Liegenschaften als Wohnraum für Flüchtlinge anzubieten.

«Doch es gibt noch viele andere Möglichkeiten der Willkommenskultur», sagt Bregenzer. Bei der Arbeitssuche helfen oder Begegnungen ermöglichen. Im Juli zum Beispiel führt die Landeskirche mit dem Solinetz ein Ferienlager für Flüchtlingsfamilien am Hallwilersee durch. Die Idee ist, dass Kirchgemeinden Familien, die sie kennen, einladen und ihre Ferien mitfinanzieren.

Anlässe am Jahrestag vom 8. Mai

Am Impulstag Migration lanciert die Zürcher Kirche ihr Projekt «Flucht.Punkt». Einge­laden sind Verant­wortliche und Interessierte aus den zürche­rischen Kirchgemeinden. Die Stadt lädt am frühen Abend zum Gedenkanlass ins Stadthaus. Dort spricht u. a. der bosnische Schriftsteller Dževad Kara­hasan. Eine Anmeldung ist erforderlich, die Zahl der Plätze ist beschränkt.

Infos: Impulstag Kirchen: www.zh.ref.ch

Gedenkanlass Stadt: www.stadt-zuerich.ch/kriegsende