Recherche 23. Mai 2022, von Cornelia Krause

Die Zukunft wird interreligiöser

Kirchenräume

Die Kirchgemeinde Zürich will bei der Entwicklung von Sakralbauten künftig eine Zusammenarbeit mit anderen Konfessionen und Religionen prüfen. Die Basis ist darüber uneins.

Mit einem neuen Leitbild will die evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Zürich den Umgang mit ihren Immobilien festlegen. Um die Regelungen breit abzustützen, hat die Kirchgemeinde ihre Mitglieder befragt – zu Themen wie der Raumnutzung durch Dritte, Nachhaltigkeit oder Renditestrategie. 

«Die insgesamt positiven Rückmeldungen freuen uns. Bei einzelnen Themen sehen wir aber einen Generationenkonflikt und ein Spannungsfeld zwischen kirchennahen und kirchenfernen Mitgliedern», sagt der für die Immobilien zuständige Kirchenpfleger Michael Hauser. Am deutlichsten wird das bei der Frage nach einer gemeinsamen Entwicklung von Sakralbauten mit anderen Religionen. Rund ein Viertel der Befragten lehnte dies ab, im Detail zeigt sich, dass es sich vorwiegend um über 75-jährige regelmässige Kirchgänger handelt, während kirchenferne, jüngere Personen gegenüber dem Vorschlag eher offen sind. Im Leitbild, das jüngst ins Parlament überwiesen wurde, heisst es nun, bei der Entwicklung neuer Formen von Sakralgebäuden solle eine Zusammenarbeit mit anderen Konfessionen und Religionen geprüft werden. 

Erst Deutschland, dann die Schweiz

Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Frage, ob Kirchen von verwandten Glaubensgemeinschaften und weiteren Gruppen genutzt werden dürfen. Setze man die Ergebnisse in Relation zu ihrem Anteil an den Gemeindemitgliedern, erhielten die kirchenfernen Personen aber mehr Gewicht, so Hauser. An der Umfrage nahmen knapp 500 Personen teil, über alle Altersgruppen hinweg.

Der Generationen-Graben mit Blick auf interreligiöse, gemeinsame Nutzung von Kirchenräumen kommt für Grossmünster-Pfarrer Christoph Sigrist wenig überraschend. Sigrist, auch Präsident des Forums der Religionen, begründet ihn mit dem symbolischen Kapital des Resonanzraums Kirche, das von den Generationen unterschiedlich bewertet wird. In 20 Jahren werde diese Frage wohl auch von der älteren Generation positiv beschieden, sagt Sigrist und verweist auf andere Länder wie etwa Deutschland. Dort zeige sich bereits heute eine interreligiöse Ausweitung der Sakralität von Kirchenräumen. «Mit einer Verzögerung wird das auch Zürich erfassen.» 

Denn wie bei den Reformierten gilt «der sakrale Ort» als Raum, in dem sich Glaubende versammeln, beten und das Wort Gottes auslegen, bisweilen in Wort und Musik.
Christoph Sigrist, Pfarrer am Grossmünster

Insbesondere mit den anderen abrahamistischen Religionen, sprich dem Judentum und dem Islam, könnten reformierte Christen Kirchenräume gut gemeinsam nutzen. «Denn wie bei den Reformierten gilt der „sakrale“ Ort als Raum, in dem sich Glaubende versammeln, beten und das Wort Gottes auslegen, bisweilen in Wort und Musik.» 

Sigrist weiss von muslimischen Gemeinden mit akutem Platzbedarf, insbesondere an wichtigen Festen, wie etwa dem Fastenbrechen am Ende des Ramadan. Auf kurz oder lang erwartet er deshalb auch Anfragen zu Raumnutzungen. Im Grossmünster selbst fanden bereits mehrfach interreligiöse Gebete statt. Eine Umnutzung in eine Moschee werde auch in Zukunft wegen dem symbolischen Kapital der Reformation und der christlichen Geschichte mit seinen Stadtheiligen nicht möglich sein, sagt Sigrist. Das sei auch nicht sinnvoll und werde so auch von muslimischen Gemeinden nicht gewünscht. Bei Quartierskirchen liegt für Sigrist die Fragestellung anders, insbesondere wenn diese in Stadtteilen liegen, in denen ein Grossteil der Bevölkerung einer anderen Religion angehört.

Viel Erfahrung mit Räumen der Stille

Auch in der gemeinsamen Entwicklung von Sakralgebäuden sieht Sigrist Chancen. Die Schweiz könne dabei auf ihre Erfahrungen mit diversen Räumen der Stille und Kapellen zurückgreifen. So sind etwa die Flughafenkapelle und einige Räume der Stille in Spitälern als interreligiöse Orte konzipiert. Einen gelungenen Ansatz sieht Sigrist im geplanten «House of One» in Berlin,  ein Haus, unter dessen Dach sich eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee befinden sollen.  Ein zentraler gemeinsamer Raum ist geplant, um Begegnungen zu ermöglichen.

Hintergrund des neuen Leitbilds und der Diskussion darüber ist der anhaltende Mitgliederschwund der reformierten Kirche. Er wirft Fragen auf, was die künftige Nutzung und Bewirtschaftung von wenig ausgelasteten Immobilien angeht. Die evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Zürich besitzt neben 43 Kirchen, 35 Kirchgemeindehäusern und 55 Pfarrwohnungen auch über 300 Wohnungen. Das Immobilienportfolio hat einen Wert von rund 1,2 Milliarden Franken.