Am 6. Juni, wenn in Büren an der Aare das grosse Kirchturmfest gefeiert wird, sitzt der achtzigjährige Rolf Lehmann wieder an der Orgel auf der Empore der historischen Kirche. Und er wird mit einem besonderen Gefühl in die Tasten greifen. Lehmann war fünfzig Jahre lang Organist der reformierten Kirchgemeinde. Und vor allem: Mit dieser Orgel verbindet ihn eine besondere Geschichte. Nicht zuletzt, weil das Instrument gleich zu Beginn von Lehmanns Anstellung 1963 vorerst einmal für einige Jahre nicht spielbar war.
Der Einsturz. Lehmann, der junge Zahnarzt aus dem Städtchen, war gerade mal sechs Wochen als Organist in der Stedtlikirche angestellt, als das passierte, was die Menschen weitherum erschütterte. Der Turm der historischen Kirche aus dem 12. Jahrhundert brach in einer Gewitternacht mit Getöse in sich zusammen und verschüttete das ganze Chorgewölbe. «Im Hauptschiff sah es aus wie nach einem Bombenangriff», erinnert sich Lehmann heute noch. Er, der damals gerade in den Ferien weilte, hörte schockiert von diesem Unglück, das Schlagzeilen machte. Wieder zu Hause, sah er sich den Schaden sogleich an. Und musste feststellen: Die Orgel mit dem prachtvoll verzierten Rokoko-Prospekt aus dem Jahr 1772 war zwar erhalten geblieben, aber unspielbar geworden: «Sie pfiff aus allen Löchern falsch.»
Das bedeutete für den Jung-Organisten, dass er nun wieder Klavier üben musste, denn die Gottesdienste wurden nach der Schicksalsnacht für Monate in das Kirchgemeindehaus verlegt. Und dort gab es bloss ein Klavier. So mutierte Lehmann schon sechs Wochen nach seiner ersten Anstellung als Organist zum Pianisten.
Der Wiederaufbau. Es war ohnehin eine recht belastende Zeit für den jungen Familienvater. Er erinnert sich: «Damals wurden oftmals an einem Sonntag noch drei Predigten gehalten. Am Morgen auf Hochdeutsch, am Abend auf Berndeutsch und einmal pro Monat noch auf Französisch.» Aber es war auch spannend: Die alte Orgel wurde parallel zum Wiederaufbau des Kirchturms sorgfältig restauriert – «zwei Drittel der Register waren noch brauchbar» – und ersetzt.
Als die Kirche 1965 wieder für Gottesdienste bereitstand, spielte Lehmann zuerst noch auf einem «Ersatzörgeli». Erst vier Jahre später stand das neue Orgelwerk spielbereit in der Kirche. Rolf Lehmann spielte darauf bis vor zwei Jahren regelmässig. Heute noch amtet er bisweilen als Stellvertreter der neuen Organistin Sally Jo Rüedi. Sie wird mit ihrem Vorgänger am Kirchturmfest vierhändig am geschichtsträchtigen Instrument sitzen.
Der Neubau. Warum 1963 der Kirchturm von Büren zusammengebrochen war, wurde übrigens nie restlos geklärt. Passiert ist es während des Umbaus des Turms. Die Glocken waren zu diesem Zeitpunkt ausgebaut. Sie sollten durch ein neues Geläut ersetzt werden. Der Auftrag war bereits vergeben. Der spitze Kirchturm war in zweijähriger aufwendiger Arbeit wieder in seine ursprüngliche Form, einen Treppengiebel, umgebaut worden. Zwei Tage vor der Aufrichtefeier – und nur Stunden nach einem Konzert mit vielen Besuchern – passierte dann nach einem heftigen Gewitter der Einsturz.
Im Gedächtnis der Bürener ist der Einsturz des Kirchturms neben dem Brandanschlag auf die Holzbrücke im Jahr 1989 als eine der zwei lokalen Katastrophen des 20. Jahrhunderts haften geblieben.
Der romanisch-gotische Chor mit seinen kostbaren Malereien wurde mithilfe von Plänen des historischen Museums Bern rekonstruiert und steht heute wieder unter Denkmalschutz.