Drogenelend und Idylle in einem Park

Diakonie

In der Bäckeranlage werden Drogen kon­sumiert und gedealt. Seelsorger Andreas Käser und Gassenarbeiter Rémy Guillaume über die sozi­alen Spannungen, die im Park entstehen.

Junge Mütter unterhalten sich auf einer Bank, ihre Kinder schicken Seifenblasen in den Himmel. Menschen spazieren mit Hunden, eine Gruppe Kindergärtner singt fröhliche Lieder. In der Bäckeranlage in Zürich deutet nichts auf Probleme hin. Doch der erste Eindruck trügt. Zuletzt haben Medienberichte Befürchtungen geweckt, eine offene Drogenszene könnte entstehen. Bis zu 40 Drogenabhängige sollen sich hier aufhalten, Crack rauchen, dealen. Umgeben von Wohnhäusern, Schulen und Geschäften. Anwohner, Eltern und Gewerbe sind besorgt. Die Rede ist von einer zunehmend aggressiven Stimmung, auch zu Gewaltvorfällen ist es gekommen.

Zweifellos ein Hotspot

Andreas Käser und Rémy Guillaume, die als Seelsorger und Gassenarbeiter tätig sind beim Sozialwerk Pfarrer Sieber (SWS), sind mit der Problematik bestens vertraut. An diesem Morgen haben sie sich ins Quartiercafé gesetzt, um mit «reformiert.» darüber zu reden. Der Park sei zweifellos ein Drogen-Hotspot in der Stadt. Aber auch ein wichtiger sozialer Treffpunkt für verschiedene Kulturen und Bevölkerungsgruppen, die gut miteinander auskommen, sich gegenseitig unterstützen, betont Rémy Guillaume. Er bestätigt, dass der Drogenkonsum in den letzten Wochen zugenommen, vor allem Crack sich verbreitet habe. Die Situation sei nicht nur für die Anwohner angespannt, sondern auch für die Leute, die sich regelmässig im Park aufhalten und dort ihr Bier trinken; mit ihnen steht er in regem Austausch.

Die Berichterstattung habe zu Vorurteilen gegenüber den bestehenden Gruppen geführt, worunter sie leiden. Guillaume beobachtet soziale Spannungen im Park, da «alle in einen Topf geworfen werden». Seelsorger Andreas Käser teilt diese Einschätzung. Im Moment führt er viele Gespräche mit den «Alteingesessenen», die sich über die neue Crack-Szene aufregen. Sie fürchteten sich vor polizeilichen Repressionen, fühlten sich teilweise auch selbst unsicher. Angst und Aggressivität seien vermehrt Thema.

Der Platzspitz als Trauma

Vor einem Jahr wurde eine von drei städtischen Kontakt- und Anlaufstellen geschlossen, vom Kasernenareal in die Brunau an den Stadtrand verlegt. Für die stark Süchtigen ein zu weiter Weg. Dadurch wurde die Crack-Szene im öffentlichen Raum sichtbarer. Derweil hat die Stadt reagiert und Massnahmen angekündigt (siehe rechts), welche die beiden SWS-Mitarbeiter begrüssen. Sie glauben nicht, dass in der Bäckeranlage eine neue offene Drogenszene entsteht. Im Gegensatz zu den 90er-Jahren gebe es heute zahlreiche Angebote und Anlaufstellen. Ferner sei die Szene diffuser geworden. «Drogen lassen sich überall problemlos per Handy bestellen, auch in die Agglomeration. Damals gab es feste Treffpunkte. Um an den Stoff zu gelangen, mussten die Leute nach Zürich kommen», sagt Käser.

Auf jeden Fall wirke der Platzspitz als Trauma nach. Der beherzte Einsatz von Stiftungsgründer Pfarrer Ernst Sieber für die Heroinsüchtigen auf Basis des Evangeliums bilde auch heute noch das Fundament des SWS. «Liebe und Annahme sind oberstes Gebot im Umgang mit Süchtigen.» Gesellschaftliche Probleme gelte es an der Wurzel anzupacken, was durch eine erfolgreiche Integration geschehe, so Käser. Guillaume sieht es gleich: «Hier gibt es viele Leute, die sich integrieren möchten. Aber der Zugang in die Gesellschaft wird ihnen verwehrt.»

Gassenarbeit und Seelsorge arbeiten Hand in Hand. Sie gehen unvoreingenommen auf die Menschen zu, egal welche Substanzen diese konsumieren. Dabei ist das Gewinnen von Vertrauen oft die grösste Herausforderung. Bei den Crack-Süchtigen steht der Beschaffungsstress im Vordergrund, die Gespräche drehen sich meist um die Notwendigkeiten des Alltags. Doch es komme auch vor, dass jemand das Bedürfnis habe, über Glaube oder Spirituelles zu sprechen. Und solche Momente seien «besonders wertvoll», sagt Käser. Bald werden sich die beiden aufmachen und schauen, wo es nun ein offenes Ohr braucht.

Wie die Stadt reagiert

Auf die Medienberichterstattung folgte eine intensive politische Diskussion. Die SVP verlangte eine rigorose Räumung des Parks, um einen zweiten Platzspitz zu verhindern. Ende September hat das Stadtparlament allerdings entschieden, die neue Dro­genszene auf der Bäckeranlage nicht polizeilich aufzuheben. Stattdessen soll Mitte November 2023 auf dem Kasernenareal eine provisorische Kontakt- und Anlaufstelle für Drogenkonsumenten eingerichtet werden, wie das Sozialdepartement in einer Mitteilung schreibt. Die neue städtische Einrichtung ersetzt die zuvor im Oktober 2022 geschlossene Kontakt- und Anlaufstelle am selben Standort.

Wie Crack wirkt

Crack ist in vielen europäischen Gross­städten auf dem Vormarsch. In der Schweiz sind vor allem die Städte Chur, Genf und Zürich betroffen. Bei der illegalen Substanz handelt es sich um eine stark süchtig machende Form von Kokain. Diese wird durch die Verarbeitung von Kokainpulver mit Back­pulver (Natron) hergestellt. Die kleinen, harten Kristalle, die so entstehen, werden als «Crack» bezeichnet und meist in kleinen Pfeifen geraucht. Der Stoff ist günstig zu haben, einfach zu konsumieren und macht extrem schnell high. Allerdings hält der Rausch bloss wenige Minuten an. Substanz und Beschaffungsstress machen die Süchtigen aggressiv, gesundheitlich verelenden sie völlig.