Recherche 05. Oktober 2022, von Katharina Kilchenmann

Gibt es Platz für alle in der Landeskirche?

Kirchenentwicklung

In Muri-Gümligen gibt die theologische Ausrichtung des Kirchgemeinderats zu reden: Wer sich nur noch für Glaubensferne interessiere, vergesse die Gruppe der Gläubigen.

An einen personalen Gott im herkömmlichen Sinn glaube sie nicht, sagt Katrin Hubschmid, Co-Präsidentin der Kirchgemeinde Muri-Gümligen, in einem Interview in der Gemeindebeilage von «reformiert.». Trotzdem – oder gerade deshalb – seien sie eine Kirche für alle. «Für mich gibt und braucht es keinen allmächtigen, personalen Gott», sagt sie. Die pensionierte Ärztin ist überzeugt, dass sie mit dem Anspruch, Theologie und Kirche müssten sich weiterentwickeln, nicht allein ist.

«Tatsache ist, dass immer mehr Leute mit ihren Lebensfragen und spirituellen Bedürfnissen statt zu Pfarrpersonen in Coachings oder ins Yoga gehen», meint sie. Deshalb müsse die Kirche neu denken. «Wir wollen für die wachsende Gruppe von Menschen, bei denen der Glaube an eine göttliche Vaterfigur nicht mehr im Zentrum steht, da sein», so Hubschmid. In einer christlichen Gemeinschaft stecke eine grosse Kraft, auch ohne diese Vorstellung.

Kritik von Gläubigen

Mit dieser Art von Kirche sind aber nicht alle zufrieden. Zu säkular findet sie etwa Anaël Jambers, die mit ihrer Familie in Muri lebt. «Eine Kirche ohne Gott ist sinnentleert», sagt die Ethnologin. Für sie muss Kirche mehr sein als eine soziale Institution. Vor allem auch ein Ort der Beziehung, der Beziehung zu Gott.

Tatsache ist, dass immer mehr Leute mit ihren Lebensfragen und spirituellen Bedürfnissen statt zu Pfarrpersonen in Coachings oder ins Yoga gehen.
Katrin Hubschmid, Co-Präsidentin Kirchgemeinde Muri-Gümligen

«Eine Kirche, die strategisch auf jene ausgerichtet ist, die nicht an Gott glauben, vergisst mich», so Jambers. Wo, wenn nicht in der Kirche, sollten sich Gottsuchende wie sie aufgehoben fühlen? «Es befremdet mich, wenn im Kirchgemeinderat als strategischem Organ keine Gläubigen mehr sind.» Sie ist enttäuscht, bleibt der reformierten Kirche aber treu und engagiert sich in der Kirchgemeinde. Sie wäre auch bereit, allenfalls für den Kirchgemeinderat zu kandidieren.

Dazu kam es bisher nicht, da sich die Verantwortlichen der Kirchgemeinde die Zusammenarbeit prob-lematisch vorstellten. Jambers ist erstaunt: die Qualität der Zusammenarbeit sollte nicht an einem Gottesbild gemessen werden, findet sie. Katrin Hubschmid erwidert, man sei offen für weitere Gespräche. «Unsere Kirchgemeinde garantiert grosse theologische Vielfalt.»

Breites Spektrum

Gibt es für gewisse Einstellungen bei den Reformierten keinen Platz? Wird die Kirche säkular? Keineswegs, findet der Theologe Martin Hirzel von den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Das Spektrum sei breit, und diese Pluralität sollte sich auch in den Gremien abbilden. «Jede Kirchgemeinde entscheidet aber selber über ihre theologische Ausrichtung und die Pflege verschiedener Frömmigkeitsstile.»

Jede Kirchgemeinde entscheidet selber über ihre theologische Ausrichtung und die Pflege verschiedener Frömmigkeitsstile.
Martin Hirzel, Theologe, Reformierte Kirche Bern-Jura-Solothurn

Kirche, betont der Theologe, gebe es nicht nur, weil Menschen sich sozial engagierten. «Vielmehr erfahren sie dort den Zuspruch und die Ermutigung, die sie sich nicht selber geben können.»

Gemeindeglieder, die nicht mit der Haltung von Pfarrpersonen einverstanden seien, gebe es immer wieder, sagt Hirzel weiter. So seien früher eher liberale Pfarrer in die Kritik geraten. «Heute hingegen wird in einzelnen Kirchgemeinden manchmal eine evangelikale Ausrichtung kritisiert.»