Recherche 23. September 2021, von Nadja Ehrbar

Das Staunen überwindet Grenzen

Kunst

Der Zürcher Theologe und Ethiker Christoph Stückelberger hat aus 800 Halbedelsteinen ein Kirchenfenster gebaut. Jetzt schmückt sein Werk eine evangelische Kirche in Wuhan.

Noch wusste Christoph Stückelberger nicht, was er anstellen sollte mit den 30 Kilogramm Achat-Edelsteinen, die er erworben hatte. Die Gelegenheit dazu bot sich ihm, weil ein Edelsteinladen nahe seinem Wohnort in Oerlikon schliessen musste.  

Der 70-jährige Zürcher Professor für Ethik und Theologie ist unter anderem Präsident von drei Stiftungen mit Sitz in Genf, unterrichtet in Afrika und China und betätigt sich daneben künstlerisch.

Ausgleich zur Kopfarbeit

«Ich arbeite oft intellektuell», sagt Stückelberger. Das Fotografieren und das Schaffen von Skulpturen seien für ihn Möglichkeiten, die andere Hirnhälfte zu brauchen und «das Herz einzusetzen». Unter dem Namen «Creation Art», zu Deutsch Schöpfungskunst, bringt der Theologe das Staunen über die Schönheit der Schöpfung zum Ausdruck. 

«Achat-Edelsteine haben mich schon immer fasziniert», sagt er. Schon früher kauften er und seine Frau die dünnen Scheiben ab und zu, um sie aufzustellen oder zu verschenken. Achate sind eine Form von Quarz und kommen in vielen Farbvariationen vor. Auch die Muster unterscheiden sich. Vielen gemein sind streifenförmige Ablagerungen. Als Stückelberger die Steine betrachtete, kam ihm eins der Fenster im Zürcher Grossmünster in den Sinn. Der deutsche Künstler Sigmar Polke hatte es aus Achat-Scheiben erschaffen. Stückelberger liess sich davon inspirieren.   

Wuhan statt Genf

Dass der Zürcher Theologe das Fenster spenden würde, war für ihn von Anfang an klar. «Zuerst dachte ich an einen öffentlichen Raum in der Schweiz», sagt er. Etwa ans Zentrum des ökumenischen Rates der Kirchen in Genf. Doch als er 2016 einen Ethikkurs im protestantischen theologischen Seminar in der Millionenstadt Wuhan durchführte, erfuhr er vom neuen Seminar-Campus und einer grossen Kirche für 2000 Gottesdienstbesucher, die dort gebaut werden sollten.  

Daraufhin kontaktierte er einen Freund in China, den Wirtschaftsprofessor, christlichen Unternehmer und Künstler Wantian Cui, und fragte ihn, ob die Kirche an seinem Fenster interessiert sei. Die Kirchenleitung nahm die Spende erfreut an. Damit das Fenster auch an seinen Bestimmungsort passte, fertigte Cui vor Ort noch den oberen Teil und den Rahmen aus Glas an. Denn dieser hat nach gotischem Vorbild einen Spitzbogen. 2017 wurde das Fenster montiert, 2022 soll die Kirche fertiggestellt sein. Stückelberger plant, an der Einweihung dabei zu sein.

Das Fenster soll für das andere Wuhan stehen.
Christoph Stückelberger, Theologe und Ethiker

Der Zürcher sieht das fünf Meter hohe und anderthalb Meter breite Fenster als Zeichen der globalen Verbundenheit aller Menschen in der Schöpfung. Es soll für «das andere Wuhan» stehen – als Gegenkraft zur Pandemie. Denn seit sich das Virus von dort aus auf der ganzen Welt verbreitet habe, bringe jeder Mensch die chinesische Stadt nur mit Covid-19 in Verbindung. 

Und was stellt das Fenster dar? Es zeigt die vier Elemente Wasser, Erde, Feuer und Luft in Braun, Rot Blau und Grau. Sie drücken die Schönheit und Vielfalt der Schöpfung aus. Eine «DNA des Lebens» aus weissen Kristallachaten führt senkrecht in der Mitte von oben nach unten wie ein Strahl und von links nach rechts. 

Diese Linien bilden das Kreuz des Auferstandenen und zugleich mit dem Kreis der Kristallachate in der Mitte den Heiligen Geist. In diesem Schöpfungsfenster der Dreifaltigkeit steht im Spitzbogen das chinesische Zeichen für China, das Cui mit roten horizontalen und vertikalen Achat-Linien gefertigt hat.

Das Fenster ist ein Zeichen von globaler Verbundenheit der Menschheit in der Schöpfung.
Christoph Stückelberger, Theologe und Ethiker

«Das ist ein Zeichen der Verbundenheit», sagt Stückelberger. Denn in den Linien könne man durchaus auch ein Kreuz sehen. Das gemeinsame Staunen über die Schöpfung überwinde Grenzen.