Recherche 28. August 2023, von Constanze Broelemann, Veronika Jehle

Reformator neu entdeckt

Ökumenisch

Vor 500 Jahren wurde Chur reformiert – doch wer war der Reformator? Constanze Broele­mann von «reformiert.» und Veronika Jehle vom «forum Pfarrblatt Zürich» forschen nach.

Das hatte ich tatsächlich nicht gewusst: dass auch Chur einen eigenen Reformator hatte. Sein Name: Johannes Comander. Comander – zunächst fiel mir dieser Name auf. Er ist übrigens einfach die griechische Übersetzung des unauffälligen Namens «Dorfmann», wie der Churer Reformator eigentlich geheissen hatte.

Vielleicht geht es mir aber auch wie so mancher Katholikin in Zürich: Chur war für mich bislang vor allem eines, nämlich Bischofsstadt.
Die reformierte Kirche in Chur feiert gerade 500 Jahre Reformation. So fuhr ich also in «meine» Bischofsstadt, um mit ihrer reformierten Seite in Berührung zu kommen und mich auf die Spur von Comander zu begeben. Dabei traf ich auf Constanze. Zusammen sahen wir die Inszenierung «Comander» des Laientheaters Frech, Freilichtspiele Chur, und liessen uns inspirieren.

Der Bündner Drehbuchautor Felix Benesch hat ein Stück geschrieben, welches das Geschehen in die Gegenwart hineinholt. So entstand dieser «Fusionsbeitrag» zu den Stichworten des Stücks: Glaube, Wissen und Macht.
(Veronika Jehle)

Glaube

Was alle Reformatoren wollten, das wollte auch der um 1484 in Maienfeld geborene Johannes Comander: das Evangelium «unverfälscht unter die Leute bringen». Was für uns Menschen von heute eine Selbstverständlichkeit ist, war Anfang des 16. Jahrhunderts eine Revolution.
Die Rolle des eher stillen Pfarrers Comander wird von Christian Sprecher im Wechsel mit Anna-Katharina Müller übernommen. Schüchtern fragt sich der ehemalige Chu­rer Pfarrer: «Ist das Ketzerei, wenn ich den Menschen das Evangelium bibeltreu auslege?» Für die Erneuerer des Glaubens, zu denen sich Comander zählte, sollte der Glaube wieder näher an der Bibel sein. Für die Bewahrer, die Gegenspieler der Reformatoren, war das inakzeptabel und ein Bruch mit der Tradition.

In den Ilanzer Artikeln von 1526, einem Religionsgespräch zwischen Katholiken und Protestanten, geschah etwas im internationalen Vergleich Besonderes: Das Nebeneinander unterschiedlicher christlicher Bekenntnisse wurde zum bestimmenden Element der Bündner Geschichte. Jedes Dorf konnte selbst entscheiden, welcher Konfession es angehören wollte.

Die Bündner Proklamation der Religionsfreiheit war eine sehr fortschrittliche Errungenschaft und die darin verbriefte Wahlfreiheit europaweit einzigartig. Sie hat viel dazu beigetragen, dass die Reformation in Graubünden mehrheitlich friedlich verlief.
(Constanze Broelemann)

Wissen

Was für ein Abenteuer ist es, selbst zu denken?», fragt sich Jakob Salzmann. Salzmann, 1484 im Rheintal geboren, war zunächst Schulmeister der Kathedralschule am bischöflichen Hof in Chur. Später leitete er die neu gegründete Stadtschule. Salzmann war ein enger Vertrauter Comanders. Gespielt wird Lehrer Jakob Salzmann von einem Mitglied des Laientheaters Frech.

Gemeinsam mit Johannes Comander war Salzmann einer der Hauptförderer der Reformation in Chur. Die Stadt und das Bistum gerieten in einen Machtpoker, wobei der Pädagoge Salzmann auf der Seite der neuen reformatorischen Bewegung war. Als Lehrer konnte er mit dem Wunsch, mehr selbst zu wissen und sich weniger vorgeben zu lassen, viel anfangen. Der Umsturz in Kirche und Gesellschaft lag überall in Europa in der Luft und so auch in Graubünden und ganz konkret in Chur.

Die Menschen wehrten sich gegen die Machtfülle, die sich bei der katholischen Kirche und dem Adel kumulierte. Salzmann nahm auch an den Ilanzer Gesprächen teil. Dort legte sein Freund Comander ein Papier mit 18 Thesen vor. Die Reformierten argumentierten gewandter und mit besserer Bibelkenntnis und konnten so ihre Sache verteidigen und propagieren. Der Ausgang der Diskussion blieb zwar offen, doch Salzmann und Comander trugen dazu bei, dass die Macht später in den Händen der Ortsgemeinden Graubündens lag.
(Constanze Broelemann)

Macht

Bischöfe waren und sind mächtige Männer. Sie waren es, solange sie auch weltliche Macht innehatten. Und strukturell innerhalb der römisch-katholischen Kirche sind sie es bis heute geblieben. Natürlich spielt der Bischof auch im Theaterstück eine wichtige Rolle. Er hiess Paul Ziegler, geboren 1471 im schwäbisch-bayerischen Nördlingen.
Dargestellt wird er allerdings als Lachnummer. Eine klapprige Gestalt, höchst unsicher, dröge, stumpf, aber eines: eitel. Er hat etwas Weibisches an sich und wird ausgerechnet von einer Frau dargestellt, die auch noch ihren schwäbischen Dialekt dazu missbraucht, in jeder Situation maximal dumm zu wirken.

Bischof Ziegler ist also im besten Sinn eine Persiflage. Und er sorgt bei den Zuschauenden für Erheiterung, beizeiten für Lachanfälle. Ich gebe es zu: auch bei mir selbst. Im Nachklang bemerkte ich: Es hatte darin Spott, wohl auch Hohn.

Macht spielt in religiösen Ämtern eine Rolle. Wer sie innehat, wird daran gemessen, wie sensibel er oder sie damit umgeht. Humor ermöglicht, Machtgefälle zu thematisieren – was aber, wenn er kippt, in Spott und Hohn? Und was, wenn die Mächtigen gerade das provozieren, indem sie sich entfernen von den Realitäten der Menschen, indem sie sich abschotten? «Wer die Macht hat, braucht keine Veränderung», heisst es im Theaterstück. Er steht dafür in der Gefahr, eine Lachnummer zu werden. (Veronika Jehle)