Vom Versuch, die Welt zu reparieren

Nachruf

Eva Toren hat den Horror im Warschauer Ghetto als Kind überlebt. Am 24. April ist sie im Alter von 94 Jahren in Zürich gestorben.

Den Hass hat sich Eva Toren verboten. «Ich darf den Mördern nicht mithelfen, mich seelisch zu ermorden», sagte die Überlebende des Holocaust im vergangenen Herbst der NZZ. Stattdessen versuche sie, in der Tradition der jüdischen Philosophie an der «Reparatur der Welt» zu arbeiten: «Ich möchte dem Leben einen Sinn geben, indem ich Gutes in die Welt bringe.»

Nischen der Menschlichkeit

Eva Toren wurde in Krakau geboren und war elf Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Mit ihren Eltern flüchtete sie vor den heranrückenden deutschen Truppen nach Warschau. Dort kam die Familie bei Bekannten unter. Der Vater rückte in die polnische Armee ein, um gegen die Wehrmacht zu kämpfen. Später wurde er von den Sowjets verschleppt. Er starb an der Zwangsarbeit in Sibirien.  

1940 gehörte Eva Toren zu den Jüdinnen und Juden, die von den Nazis ins Warschauer Ghetto eingepfercht wurden. Bis zu einer halben Million Menschen verschleppten die deutschen Besatzer in den jüdischen Wohnbezirk in der polnischen Hauptstadt. Im Ghetto herrschte eine Hungersnot, Seuchen grassierten, Misshandlungen durch deutsche Soldaten gehörten zum alltäglichen Horror. Dennoch sei es gelungen, «ein kleines Mass an Kultur und Menschlichkeit zu bewahren», sagt Toren in ihren Erinnerungen, welche die Stiftung Gamaraal festgehalten hat. Im Verborgenen nahm sie an den verbotenen Unterrichtsstunden für jüdische Kinder teil.

Aufstand an Pessach

Kurz vor dem jüdischen Aufstand gegen die Besatzung gelang Toren gemeinsam mit ihrer Mutter die Flucht aus dem Ghetto. Am 19. April 1943 kam es zu Kämpfen zwischen dem Widerstand und den deutschen Truppen. Es war die Festwoche Pessach, in der die Jüdinnen und Juden der Befreiung des israelitischen Volks aus der ägyptischen Sklaverei gedenken.

Bei den bewaffneten Auseinandersetzungen starben 12'000 Menschen. Nach der Niederschlagung des Aufstands wurden 30'000 Menschen erschossen, 7000 Jüdinnen und Juden wurden in die Vernichtungslager der Nazis deportiert. Viele Bewohnerinnen und Bewohner waren bereits zuvor an Krankheiten oder Hunger gestorben. 

Befreit, aber nicht erlöst

Eva Toren schaffte es auf die «arische Seite» des Ghettos. Sie wurde versteckt, ihre jüdische Identität verleugnet. Zwei Jahre lang lebte sie mit der Angst, denunziert zu werden, in einer Stadt, die immer wieder Bombardierungen ausgesetzt war. Die Befreiung durch die Rote Armee erlebte sie nicht als Erlösung, wie sie in ihren Lebenserinnerungen sagt. Die sowjetische Besatzung brachte neue Repressalien mit sich.

Mutter und Tochter hofften auf einen Platz auf einem Schiff nach Palästina. Doch sie mussten bis 1948 in einem Flüchtlingslager auf Zypern ausharren, bevor sie in den soeben gegründeten Staat Israel ausreisen konnten. Eva Toren war 20 Jahre alt, als sie in Haifa ankam. Schwer gezeichnet durch eine Tuberkuloseerkrankung. 

Gegen das Vergessen

2003 zog Eva Toren nach Zürich. Sie engagierte sich in der Holocaust Education der Gamaraal Stiftung, welche die Erinnerung an das dunkelste Kapitel der europäischen Geschichte wachhält und Überlebende unterstützt. Toren half als Zeitzeugin mit, dass sich auch jüngere Generationen mit dem Holocaust auseinandersetzen. Eva Toren habe «eindrücklich vor Rassismus und Antisemitismus gewarnt», schreibt Stiftungspräsidentin Anita Winter in der Todesanzeige und bezeichnet die Verstorbene als «langjährige Freundin und engagierte Mentorin». 

Eva Toren ist am 24. April, vier Tage nach ihrem 94. Geburtstag, gestorben. Eine Stimme, die vor der Wiederholung der Geschichte warnte, ist verstummt. Als Persönlichkeit, die sich trotz des erlebten Horrors vom Hass nicht vergiften liess, bleibt sie in Erinnerung.