Der Pfeifton von Skype ertönt. Die Emmentalerin Anny Hefti-Misa sitzt 10 000 Kilometer entfernt am Computer. Sie hat philippinische Wurzeln überwintert gerade in ihrer alten Heimat auf der Insel Cebu, einer der Hauptinseln des Archipels mit 717 Inseln. Kurz vor ihrer Abreise hat sie engagierten Weltgebetstag-Frauen in einem Seminar die Wirklichkeit der philippinischen Migrantinnen nahe gebracht. Schon aufgrund ihres Berufs als Psychologin und ihrer früheren Tätigkeit als Leiterin des Zentrum 5, eines Integrationszentrums in Bern, ist sie eine der ersten Adressen in der Schweiz, wenn es um Filipinas und globale Migration geht.
Weibliche Migration
Die Philippinen sind ein von Auswanderung geprägtes Land. 9,5 Millionen philippinische Arbeitsmigranten, beinahe zehn Prozent der Gesamtbevölkerung, leben gegenwärtig in 214 Staaten der Welt. Mehr als die Hälfte davon sind Frauen. Die Filipinas sind ein Paradebeispiel für den weltweit boomenden Markt für Dienstleistungen rund um Haushalt und Pflege. Kein Wunder, dass das Team der philippinischen Frauen, die dieses Jahr die Liturgie des Weltgebetstags vorbereiteten, die globale Gerechtigkeit unter der Fragestellung «Bin ich ungerecht zu euch?» ins Zentrum gestellt hat. Während im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20, 1-16) alle genug zum Überleben vom Rebbergbesitzer bekommen, leben viele der philippinischen Migrantinnen unter ausbeuterischen Verhältnissen.
Andererseits ist ein Monatslohn von 300 Dollar für eine Hausangestellte beispielsweise in Singapur dreimal höher als das Salär für eine Hausangestellte auf den Philippinen. Anny Hefti-Misa betont, dass mit den Überweisungen aus Hongkong, Katar oder Singapur oft eine zwölfköpfige Familie überleben kann. «Aber der soziale und psychische Preis der Migration ist hoch», sagt sie.
«Mama, komm zurück.» Dann erzählt sie per Skype – dem bevorzugten Kommunikationsmittel auch der Migrantinnen mit ihren Familienangehörigen – von einer Begegnung im Internetcafé auf Cebu. Eine fünfjährige Tochter sagte zu ihrer Mutter unter Tränen: «Mama, lass uns lieber arm sein und komm zurück.» Das ist die Tragödie der weiblichen Migration. Viele Frauen lassen ihre Kinder zurück. Der Nachwuchs bleibt dabei oft in der Obhut der Grossmutter oder der Tante zurück. Die Mutter kennen die Kinder nur vom Bildschirm, wenn wieder einmal eine stabile Skype-Verbindung hergestellt worden ist.
Viele der Frauen wollen nur für wenige Jahre weg, aber oft werden daraus Jahrzehnte in der Fremde. Denn das Geld ist knapp. Schon beim Beginn der Reise gelangen viele an unseriöse Vermittlungsagenturen, die überhöhte Gebühren verlangen. Sie werden oft an Arbeitgeber vermittelt, die sich nicht an gesetzliche Regelungen halten. Die Psychologin Hefti-Misa sagt denn auch: «Eines zeichnet die Filipinas aus: Sie haben viele Widerstandskräfte, um die teilweise unmenschlichen Lebensbedingungen in der Fremde zu überstehen.» Geradezu brutal ist die Situation auf der arabischen Halbinsel, wo die Filipinas oft sexuelle Übergriffe und Ausbeutung erfahren. Ende Januar wurde nach einem dubiosen Mordprozess die Filipina Jakata Pawa in Kuwait erhängt.
Überweisungen helfen
Anny Hefti-Misa will aber die Migration nicht nur an den Pranger stellen. «Ich sehe das Ambivalent», bekennt sie per Skype. Sie führt ins Feld, dass die finanziellen Überweisungen vielen Familien ein besseres Leben ermöglichen. Erst das im Ausland verdiente Geld macht Kindern den Besuch in einer weiterführenden Schule möglich. Und oft ist die Migration auch ein selbstbestimmter Akt, um sich aus den Fesseln eines ungeliebten, vielleicht gewalttätigen Ehemannes zu befreien. «Auf den Philippinen ist es rechtlich nicht möglich, sich zu scheiden», sagt Hefti-Misa.
Die Psychologin weist darauf hin, wie sich die Filipinas vernetzen. Sie selbst hat die Organisation Babaylan in der Schweiz mitinitiiert, die eine Plattform für ihre Landsfrauen bietet. Mehrheitlich seien die Frauen mit einem Schweizer verheiratet; über die Plattform könnten sie sich untereinander austauschen. Nur in der UN-Stadt Genf mit ihrem Heer von Diplomaten und ausländischen Organisationen gibt es eine grössere Zahl von Filipinas, die in der Schweiz als Hausangestellte arbeiten.
Solidarische Netze
Besonders eindrucksvoll haben sich die mehr als 100 000 philippinischen Hausangestellten in Hongkong vernetzt. Mit Protestmärschen erkämpften sie sich einen Mindestlohn. Auf der anderen Seite versucht die Regierung der Stadtrepublik, ihnen mit immer neuen Verordnungen das Leben schwerzumachen. Aber die philippinischen Frauen, die sich sonntags regelmässig an verschiedenen Orten und Parks treffen, sind kämpferisch. Ihr Zusammenhalt steht so als Beispiel für die Ziele der Weltgebetstag-Frauen: ein weltweites Netz der Solidarität unter dem Motto «Informiert beten – betend handeln» zu knüpfen.