Mohammed als pädophil zu bezeichnen, weil er ein sechsjähriges Mädchen heiratete, ist strafbar. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte jüngst entschieden und damit das Urteil gegen eine Österreicherin bestätigt, die in ihrer Heimat wegen «Herabwürdigung religiöser Lehren» zu einer Geldstrafe verurteilt worden war. In der Schweiz wird im Fall von Blasphemie, also Gotteslästerung, Artikel 261 im Strafgesetzbuch angewendet. Das Gesetz beschreibt den folgenden Straftatbestand: «Wer öffentlich und in gemeiner Weise die Überzeugung anderer in Glaubenssachen – insbesondere den Glauben an Gott – beschimpft oder verspottet, oder Gegenstände religiöser Verehrung verunehrt, der wird zu einer Busse verurteilt.» Strafbar macht sich ebenfalls, wer einen religiösen Kultus, religiöse Räume oder Gegenstände verunehrt.
Schutz der Religionsfreiheit
Ähnliche Artikel gibt es auch im deutschen, italienischen, spanischen und griechischen Recht. Frankreich, Grossbritannien und die Niederlande kennen keine solchen Paragrafen – Blasphemie ist dort kein Strafbestand –, und Irland hat den Artikel eben abgeschafft. Ebenfalls abschaffen möchte ihn in der Schweiz die Freidenker-Vereinigung. «Religiöse Überzeugungen müssen genauso kritisiert werden dürfen wie politische», steht in ihrer Resolution, die im November im Parlament eingegangen ist.Aus reformierter Sicht sei es tatsächlich fragwürdig, ob ein Blasphe-miartikel noch in westliche Strafgesetzbücher gehöre, meint der Zürcher Kirchenratspräsident Michel Müller. «Die Reformation vor 500 Jahren wurde teilweise durch grobe Kultusstörungen angefacht.» Dennoch ist Müller gegen die Abschaffung des betreffenden Gesetzesartikels: «Eine gewisse Rücksichtnahme gegenüber Menschen, denen Religion etwas bedeutet, ist noch keine Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit.»
Selten angewendetes Gesetz
Insgesamt herrscht im kirchlichen Umfeld Zustimmung für den «Blasphemieartikel» als Instrument zur Wahrung des Religionsfriedens. «Die Zeit zum Schutz der Glaubens- und Kultusfreiheit ist alles andere als vorbei», findet denn auch Christoph Weber-Berg, Kirchenratspräsident der Reformierten Kirche Aargau. «Dies soll natürlich nicht die offene Auseinandersetzung unterbinden.» Das Gesetz regle lediglich, wie jemand seine Meinung zu Religion und ihren Äusserungsformen öffentlich kundtun dürfe. «Das ist in unser aller Interesse.» Der Paragraf wird jedoch nur selten angewendet. In den letzten acht Jahren kam es in der Schweiz gerade mal zu 23 Verurteilungen zu Vergehen wie etwa der Beschädigung von Gipfelkreuzen. Einer der letzten grösseren Prozesse fand 1960 statt: Kurt Fahrners «Bild einer gekreuzigten Frau unserer Zeit» löste einen Skandal aus, und der Künstler wurde zu einer bedingten Gefängnisstrafe verurteilt.
Todesstrafe wegen Blasphemie
Vertieft mit dem Artikel befasst hat sich Fabian Harder im Rahmen seiner Masterarbeit an der Universität Zürich. «Die schutzwürdigen Anliegen des Artikels sind durch andere Gesetze abgedeckt», sagt der Rechtswissenschftler. Seit 80 Jahren stehe der Gesetzestext unverändert da, nur das Strafmass sei stetig herabgesetzt worden: Aus der Gefängnisstrafe wurde eine Busse. «Grundsätzlich ist es nicht Aufgabe des Staates, die Ansichten einer Gruppe zu schützen», so Harder. Auch die christliche Menschenrechtsorganisation Christian Solidarity International steht Blasphemiegesetzen kritisch gegenüber, weil sie die oftmals ohnehin schwierige Situation religiöser Minderheiten noch verschärfe. «Dies führt dazu, dass sich Mehrheitsvertreter, die andere wegen Gotteslästerung anklagen, im Recht wähnen und unbehelligt bleiben, während die Opfer bestraft werden», meint Pressesprecher Adrian Hartmann. Tatsächlich kann der Vorwurf der Gotteslästerung gravierende Folgen haben. In einigen Ländern, zum Beispiel in Pakistan oder Saudiarabien, steht darauf sogar die Todesstrafe.