Ein «grosser Ökumeniker mit theologischer Klarheit» ist tot

Theologie

Der katholische Schweizer Theologe Hans Küng ist mit 93 Jahren in Tübingen gestorben. Der prominente Papstkritiker lehrte und forschte im Zeichen der Erneuerung.

Hans Küng, 1928 geboren in Sursee im Kanton Luzern, gehörte zu den profilierten und wegweisenden Theologen dieser Zeit. Als Professor in Tübingen, wo er seit 1960 wirkte und lebte, befasste er sich vor allem mit dem Wandel der Theologie in der heutigen Zeit sowie ethischen, ökumenischen und interreligiösen Themen.

Spielen die klassischen Konflikte zwischen den christlichen Konfessionen heute noch eine Rolle? Wie entsteht Neues in der Wissenschaft und Theologie? Gibt es «die eine wahre» Religion? Gibt es ethische Normen, die allen Religionen dieser Welt gemeinsam sind? Das waren die grossen Fragen, die ihn in seinem Bestreben, an einer gerechteren Welt mitzubauen, zeitlebens umtrieben.

Rita Famos wird der «grosse Ökumeniker» fehlen

Rita Famos, Ratspräsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS), wurde von ihrem Mann auf die Meldung des Todes von Küng aufmerksam gemacht, sagt sie auf Anfrage. «Das hat in mir grosse Dankbarkeit für seine wichtige theologische Arbeit, seine Strahlkraft ausgelöst – aber zugleich auch Trauer, dass ein grosser Ökumeniker mit einer theologischen Klarheit und Gradlinigkeit fehlen wird.»

Sie habe Hans Küng nicht persönlich gekannt, sagt Rita Famos. Doch seine «Wälzer» habe sie als junge Studentin verschlungen, «Ewiges Leben», «Christ sein» und «Existiert Gott» etwa. Denn: «Er war einer der Theologen, der es verstanden hat, die Fragen, die die Menschen an das Christentum haben, in einer intelligenten, aber verständlichen Sprache zu bearbeiten.» Und später seien Küngs Bücher wichtige Wegbegleiter für sie persönlich wie auch für die Gemeindearbeit gewesen.

Der Mut Hans Küngs wirkt für die EKS-Ratspräsidentin am nachhaltigsten nach, wie sie sagt. «Sein Mut, die drängenden theologischen Fragen ohne Scheuklappen zu stellen. Sein Mut, seine theologischen Konklusionen gradlinig zu vertreten. Und seine konsequente ökumenische Haltung, die er vielleicht an klarsten in seinem Buch 'Christ sein' ausgedrückt hat.»

Heute kann auch der geborene Katholik wahrhaft evangelisch gesinnt und auch der geborene Protestant wahrhaft katholisch gesinnt sein, sodass bereits jetzt zahllose Christen in der Welt [...] faktisch eine vom Evangelium her zentrierte 'evangelische Katholizität' oder eine katholische Weite bedachte 'katholische Evangelizität' leben, kurz: eine echte Ökumenizität realisieren. [...] Wahres Christsein bedeutet heute ökumenisches Christsein.
Hans Küng in «Christ sein»

Judith Pörksen, Präsidentin des Synodalrates der reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn (Refbejuso), hat über die Tageszeitung vom Tod Hans Küngs erfahren. Ihre erste Reaktion sei «tiefes Bedauern», gewesen, sagt sie: «Vor allem auch in Hinblick darauf, dass die römisch-katholische Kirche diesem weitsichtigen Berater des II. Vatikanischen Konzils nicht gefolgt ist.»

Für die Pfarrerin Pörksen ist Hans Küng «in seiner glaubwürdigen Gradlinigkeit, seiner mutigen Klarheit und seiner ökumenisch geistig-geistlichen Offenheit ein Vorbild». Er repräsentiere in ihren Augen den Katholizismus im ursprünglichen Sinn des Wortes katholikos als jemanden, der das Ganze im Blick hatte, dem die universale Weltgemeinschaft ein Anliegen war, der viel gereist ist und sich interessierte für andere Konfessionen und Religionen.

Ein wertvolles Erbe im interreligiösen Dialog

Am bleibendsten empfindet Judith Pörksen in Küngs Schaffen, dass er mit seinem «Weltethos» vom Friedenspotenzial der verschiedenen Religionsgemeinschaften ausging. «Im interkulturellen und interreligiösen Dialog die gemeinsame Basis von Werten und Grundhaltungen zu suchen – das ist sein wertvolles Erbe, an dem wir heute zu arbeiten haben», ist die Synodalratspräsidentin von Refbejuso überzeugt.

1948 bis 1955 studierte Hans Küng Philosophie und katholische Theologie in Rom. Nach seiner Einsetzung ins Priesteramt studierte er in Paris weiter. Er doktorierte und wurde Seelsorger an der Hofkirche in Luzern, 1960 folgte er dem Ruf der Universität Tübingen als Professor für Fundamentaltheologie. Es kamen weitere akademische Aufgaben und Tätigkeiten hinzu, unter anderem als Buchautor und Mitherausgeber verschiedener Zeitschriften.

Streitbarer Theologe

In breiten Teilen der Bevölkerung wurde Hans Küng vor allem bekannt als standhafter Kämpfer, der sich mit dem mächtigen Rom anlegte. Insbesondere zweifelte er die Unfehlbarkeit des Papstes an. Deshalb entzog ihm Papst Johannes Paul II. im Jahr 1979 die kirchliche Lehrerlaubnis. Küng blieb aber weiterhin akademischer Lehrer und Forscher in Tübingen.

In den vergangenen Jahren war es um den Theologen aufgrund seines Gesundheitszustands stiller geworden. Er litt, wie er in seiner Autobiografie schrieb, unter anderem an der Nervenkrankheit Parkinson. Er war selber Mitglied einer Sterbehilfeorganisation, machte davon aber keinen Gebrauch.

Er sei am Osterdienstag im Alter von 93 Jahren friedlich in seinem Haus in Tübingen eingeschlafen, sagte eine Sprecherin der von Küng gegründeten Stiftung Weltethos. Georg Bätzing, Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, schrieb in seiner Würdigung: «Auch wenn es Spannungen und Konflikte gab, danke ich ihm in dieser Stunde des Abschieds ausdrücklich für sein jahrelanges Engagement als katholischer Theologe in der Vermittlung des Evangeliums.»