Mittags ist der Tisch im Alterszentrum Senesca für viele Generationen gedeckt. Während Betreuerinnen Betagte an Rollatoren zu den Tischen begleiten, rennen Kindergärtner in Winterstiefeln an ihnen vorbei zum Mittagstisch. Im Speisesaal, der auch ein öffentliches Restaurant ist, warten Handwerker und Arbeiter auf ihr Zmittag. «Das Essen ist wichtig», sagt Heimleiter Urs Hardegger, «es soll einfach und gut sein, wie zu Hause.» Nach Schweinsgeschnetzeltem, Gemüse und Teigwaren geht es im Lift in den obersten Stock. Getrennt von der Pflegestation befinden sich hier vier Wohnungen. Zwei davon sollen zukünftig als Hospiz dienen. «Vier bis sechs Betten wollen wir anbieten», sagt Hardegger. Die mit Bad, Wohnzimmer und Loggia ausgestatteten Dreizimmer-Wohnungen bieten auch Platz für Angehörige und Bezugspersonen.
Umdenken erwünscht
Das Projekt Hospiz in Maienfeld ist das Resultat einer langjährigen Zusammenarbeit verschiedener Institutionen in Graubünden, die sich mit dem Thema Palliative Care auseinandersetzen (Kasten). Monika Lorez-Meuli, Geschäftsleiterin von «palliative gr», dem Kompetenzzentrum für Palliativpflege, sagt: «Den Wunsch nach einem Hospiz hören wir aus der Praxis seit Jahren.» Nun liegt das Gesuch um finanzielle Unterstützung der Projektphase für drei Jahre beim Kanton. Christian Rathgeb, Regierungsrat und Vorsteher des Gesundheitsdepartementes, begrüsst die Initiative: «Ich bin der Meinung, dass das Projekt sehr gut in die Anstrengungen passt, welche das Departement und das Gesundheitsamt im Bereich der Förderung der palliative Care unternommen hat.» Der Ball liegt jetzt beim Gesundheitsdepartement und bei der Regierung.
Ein Hospiz definiert die European Association for Palliative Care (EAPC) wie folgt: «Ein stationäres Hospiz nimmt Patienten in ihrer letzten Lebensphase auf, wenn die Behandlung in einem Krankenhaus nicht mehr notwendig und die Betreuung zu Hause oder in einem Pflegeheim nicht möglich ist.» Im Zentrum stehen dabei die Anliegen und Wünsche der Patienten unter Einbezug der Angehörigen oder Bezugspersonen. Typisch für ein Hospiz ist auch die Mitarbeit von Freiwilligen. Ziel ist es Sterbenden ein zweites Zuhause zu bieten, ihnen das Lebensende in familiärer Atmosphäre zu ermöglichen.
Hospiz, das ist spezialisierte palliative Care. Im Gegensatz zur allgemeinen Palliative Care ist die Finanzierung der spezialisierten palliative Care in der Schweiz nicht geregelt. Obwohl der Bedarf – inzwischen in vielen Kantonen durch Studien belegt – nachgewiesen ist, erhalten Hospize nur in Institutionen mit Spitalstatus Beiträge von der öffentlichen Hand. «Das ist unlogisch», sagt Urs Hardegger, «weil ein Aufenthalt im Spital teurer ist als in der Langzeitpflege oder in einem Hospiz.» Auch Hans Peter Stutz, Geschäftsleiter des Dachverbandes Hospize Schweiz, findet: «In der Gesundheitspolitik muss ein Umdenken stattfinden.» Das jetzige System honoriere zeitintensive Betreuung kaum, aufwändige Medikamententherapien dagegen schon. Der Verband hat nun in Zusammenarbeit mit dem BAG eine Studie in Auftrag gegeben, die den volkswirtschaftlichen Nutzen von Hospizen eruieren soll. Resultate werden im nächsten Jahr erwartet.
Wer ein Hospiz eröffnen will kann zwar mit Beiträgen der Krankenkassen und aus der nationalen Pflegefinanzierung rechnen. Doch das reicht nicht. Es bleiben Restkosten. Im Alterszentrum Senesca betragen sie bei guter Auslastung rund 170 Franken pro Tag. Diese werden durch Vereine, Stiftungen oder andere Institutionen gedeckt. In Graubünden scheiterten zahlreiche private Initiativen, weil diese Geldflüsse irgendwann versiegten. Ein nachhaltiger Hospizbetrieb ist ohne die Öffentliche Hand nicht möglich.
Lücke füllen
«Rund ein Fünftel der Bevölkerung stirbt in Pflegeheimen; die meisten aber beenden ihr Leben daheim», sagt Monika Lorez-Meuli. Dank der Nationalen Strategie Palliative Care muss der Kanton seinen Einwohnern Zugang zu Palliative Care ermöglichen. Das beinhaltet aber nicht spezialisierte Palliative Care, welche die Menschen benötigen, wenn sie nicht daheim sterben können. Nun sind die beiden Wohnungen im obersten Stock mit Aussicht auf den Schulhausplatz und den Falknis bezugsbereit. «Die Realisierung eines Hospiz wäre somit das letzte Puzzleteil im Palliative Care-Angebot in Graubünden», sagt Urs Hardegger.