Haben die Städter zu viel Macht?

Kirchenpolitik

Auch in der Refomierten Kirche Bern-Jura-Solothurn ist vom Stadt-Land-Graben die Rede. Was den einen ein echtes Problem ist, scheint den andern etwas aufgebauscht.

«Stadt-Land-Fluss» heisst ein Gesell­schaftsspiel. Und «Stadt-Land-Graben» heisst ein Problem, mit dem sich die Gesellschaft nicht erst seit dem klaren Nein gegen die Umweltvorlagen am letzten Abstimmungswochenende herumschlägt. Hier die Links-Grünen aus der Stadt, dort die ländliche Bevölkerung, die sich von der urbanen Elite unverstanden fühlt und ihre Politik an der Urne durchsetzt.

Dass das Thema nun auch in der Volkskirche auftaucht, verwundert nicht. Auch nicht, dass es unter­schied­lich beurteilt wird: Die einen finden, es brauche im Parlament der Reformierten Kirchen Bern-Jura-So­lothurn eine­ Korrekt­ur zugunsten der Landgemeinden. Andere glauben, das Problem sei herbeigeredet, um davon zu profitieren.

Zunehmend dominieren linke Kirchenfunktionäre die Dis­kussionen in der Kirche.
Bruno Bader, Pfarrer in Saanen-Gstaad

Zum Vorschein brachten den vermeintlichen oder eben realen Konflikt die Ersatzwahlen im bernischen Kirchenparlament, der Synode. Ende Mai mussten zwei Ratssitze neu besetzt werden. Zwei valable Kandidatinnen standen zur Verfügung und schienen unbestritten. Doch drei Wochen vor Synodenbeginn por­tierte eine kleine Gruppe aus der Fraktion der Unabhängigen einen weiteren Kandidaten. Das Vorgehen versetzte die Synodalen in Aufruhr: Von «Sprengkandidatur» war die Re­de, von «Kampfwahl». Die Lokalpres­se nahm das Thema auf, schrieb von einem «Richtungsstreit» und einem «Riss», der durch die Kirche gehe.

Brückenbauer gefragt

Für den Überraschungskandidaten war etwa Bruno Bader, Pfarrer in Saanen-Gstaad: «Wir wollten eine Alternative bieten zu den Kandidatinnen, die urban orientiert sind und politisch dezidiert links stehen.» Zunehmend würden linke Kir­chenfunktionäre die Diskussionen in der Kirche dominieren und nicht zur Kenntnis nehmen, dass viele aus dem Kirchenvolk im Kanton anderer Meinung seien.

«Diese Diskrepanz hat sich bei den Abstimmungsergebnissen zur Konzerninitiative, beim Burkaverbot und den jüngsten Agrarinitiativen gezeigt.» Bader hält weiter fest: «Unser Kandidat wäre ein Brückenbauer zwischen Stadt und Land gewesen. Einer, der für die Basis, fürs Kirchenvolk steht.»

Es wurde eine Drohkulisse aufgebaut, um die konser­vativen Kräfte zu mobilisieren.
Stephan Jütte, Theologe und Synodaler

Die Unterscheidung zwischen Kirchenbasis und Establishment lässt Stephan Jütte, Synodaler aus der Ber­ner Kirchgemeinde Paulus, aufhorchen. Nicht dass es eine weitere Kandidatur gab, sei das Problem, meint der Theologe, «sondern dass der Kandidat als wahrer Vertreter des Kirchenvolks präsentiert wurde. Das grenzt an Populismus und darf nicht salonfähig werden.»

Auch die Fokussierung auf einen möglichen Stadt-Land-Graben findet Jütte problematisch: «Ganz abgesehen davon, ob es einen gibt oder nicht, das Szenario hat nur dazu gedient, eine Angstkulisse aufzubauen, um die konservativen Kräfte zu mobilisieren.» Das eigentliche Problem sei der Bedeutungsverlust der Kirche – in der Stadt und auf dem Land. «Diese Herausforderung müs­sen wir angehen: gemeinsam und ohne Grabenkämpfe.»

Alle sollten dazugehören

Für den Oberländer Pfarrer Bruno Bader ist aber genau diese Gemeinsamkeit in der reformierten Landeskirche gefährdet: «Wenn sich immer mehr Menschen von der Lan­­deskirche abwenden, weil sie befürchten, mit ihrer politischen Meinung nicht mehr dazuzugehören, dann wird der Bedeutungsverlust noch verstärkt.» Umso wichtiger sei es, dass die Kirchenmitglieder in Kirchenparlament und -leitung angemessen abgebildet seien, mit Vertretern aus allen politischen Lagern und Regionen.

Wir pflegen die Kontakte zu allen Kirchgemeinden, auch zu jenen, die geografisch weiter weg sind.
Judith Pörksen, Präsidentin der Kirchen Bern-Jura-Solothurn

Dass es knarrt im Gebälk der Berner Landeskirche, will Judith Pörksen, Präsidentin der Kirchen Bern-Jura-Solothurn, nicht bestätigen. «Alle Kirchgemeinden, sowohl die städ­tischen wie auch ländlichen, sind stolz auf ihre Autonomie und brauchen kein Diktat von der Zentrale», betont sie. Von einem Graben könne nicht gesprochen werden. Natürlich gebe es je nach Region un­terschiedliche Bedürfnisse, die man sorgfältig abklären müsse. «Wir pflegen die Kontakte zu allen Kirchgemeinden, auch zu jenen, die geografisch weiter weg sind.»

Milieus miteinander verbinden

Pörksen ist sich im Klaren: Das sei eine Herausforderung, denn die Lebenswelten seien in der Tat sehr unterschiedlich. Das gelte auch innerhalb einer Stadt, weiss die Ex-Pfarrerin in Bern-Bümpliz aus eigener Erfahrung. «Wir wollen die Milieus miteinander ins Gespräch bringen. Ein Graben darf nirgends entstehen.»