Recherche 24. August 2021, von Mayk Wendt

An einem Tisch

Kirchenbau

Ende August fand in Bern der vierte Schweizer Kirchenbautag statt. Das Neugestaltungsprojekt in Felsberg war dabei eines der Vorzeigebeispiele.

Mehr als 80 Kirchengebäude zählt der Kanton Graubünden. Kirchen, so sagt Johannes Stückelberger, seien «gewaltige Gedächtnisspeicher des sozialen Lebens». Stückelberger ist Kunsthistoriker und Dozent für Religions- und Kirchenästhetik an der Universität Bern. Er organisiert auch die Schweizer Kirchenbauta­ge, die seit 2015 im Zweijahresrhythmus stattfinden. Der diesjährige An­lass, mit dem Titel «Flexible Kirchen­räume», befasste sich auch mit der Raumgestaltung, Sitzordnung sowie Licht und Akustik von Kirchen. Anhand aktueller Neugestaltungen wurden Fragen, Probleme und Lösungen diskutiert. 

Das Gestaltungsprojekt der reformierten Kirche in Felsberg war eines von sechs Projekten, die da­bei vorgestellt wurden. Am Anfang woll­te man in Felsberg lediglich ­eine neue Heizung planen. Schnell entwickelte sich bei allen Involvierten das Bewusstsein für eine ganzheitliche Betrachtung der Situation. Der Innenraum wurde genauso wie der Friedhof und der Zugang zur Kirche miteinbezogen. Ziel des Kirchenvorstandes sei gewesen, mit der Planung die Kirche und ihre Umgebung als zeitgemässen spirituellen Treffpunkt zu etablieren und die verschiedenen Ansprüche der Bevölkerung für ein neues Zeitalter zu berücksichtigen.

«Die erweiterte Nutzung von Kir­chenräumen wird in Zukunft zuneh­men», erklärt Stückelberger. Be­vor man Kirchen abreisst oder verkauft, sollte man erweiterte Nutzungen, wie sie in Felsberg durch die Neugestaltung möglich werden, prüfen. «Das Thema ist hochaktuell», so der Fachmann.

Gemeinschaft am Tisch

Die festen Bankreihen im Innenraum der Kirche in Felsberg sollen geräumt und durch einen Tisch ersetzt werden («reformiert.» 11/20). «Der Tisch ist ein verbindendes Sym­bol in unserer Gesellschaft», so der Felsberger Pfarrer Fadri Ratti. «Eine lange Tafel soll auch bei uns in der Kirche zum Zusammensitzen ein­laden», sagt der Pfarrer.

Das sei eine starke Botschaft, so Stückelberger, denn in der Tischgemeinschaft sei die Hierarchie aufgehoben und alle würden sich auf Augenhöhe begegnen. Der rund neun Meter lange Tisch als Grundausstattung der Kirche lenke die Aufmerksamkeit von der Kanzel weg auf die Mahlgemeinschaft. Das Sakrament des Abendmahls werde somit deutlich aufgewertet. «Das gefällt mir gut», so der Kunsthistoriker.

Ein verlängertes Vordach der Kir­che, ein neues Nebengebäude sowie ein barrierefreier Zugang zu allen Bereichen sind weitere Elemente des Projekts. «Dieses Projekt nimmt die Bedürfnisse auf, die an öffentliche Orte gestellt werden», so Stückelberger. Diese Neu­­gestaltung ma­che die Felsber­ger Kirche zu einem offenen Begegnungsort.

Umnutzungen Graubünden

Bemerkenswert ist für Stückelberger, der schweizweit auch als Berater für Umnutzungsprojekte tätig ist, dass beim Felsberger Projekt von Anfang an alle Beteiligten professionell zusammengearbeitet haben. Von der Kirchgemeinde über die politische Gemeinde bis hin zur Denkmalpflege wurden alle ins Boot geholt. 

Renommierte Fachleute wie der Bündner Bauingenieur Jürg Conzett, der Zürcher Theologe Matthias Krieg, der zum Thema Kirchennutzung geforscht hat, sowie ein Architekt und ein Landschaftgestal­ter bringen ihre Expertisen mit einer eigenständigen Sprache ins Pro­jekt mit ein. «Gleiches gilt auch bei der künstlerischen Gestaltung», sagt Stü­ckelberger. Denn neben der Umgestaltung der Kirche und der Umgebung «soll auch Raum für Kunst entstehen», heisst es im Projektbeschrieb. Dieser soll als verbindendes Element den Geist dieses besonderen Ortes unterstreichen. 

Für den Gottesdienst erhalten

Dazu läuft derzeit ein Projektwettbewerb. In der Jury sitzen ausgewiesene Fachpersonen wie beispielsweise Christina Sonderegger, Kuratorin am Schweizerischen Nationalmuseum in Zürich, oder Stephan Kunz, künstlerischer Direktor des Kunstmuseums in Chur. «Zu einem Dialog der Fachleute anregen, zu denen auch die Mitarbeitenden der Kirchgemeinde zählen, das ist eines der Ziele der Kirchenbautage», so Stückelberger, «es werden Themen diskutiert, die sowohl die Kirchen als auch die Denkmalpflege betreffen.»

Auf die Frage, warum es im Kanton Graubünden bisher weniger Kir­chenumnutzungsprojekte gibt als beispielsweise in den Kantonen Bern oder Basel, sagt Johannes Stückelberger, dies hänge vermutlich mit der Situation des Landkantons zusammen, in dem es pro Gemeinde in der Regel nur eine Kirche gibt, die man für den Gottesdienst erhalten will. Sollte es aber vermehrt Gemein­dezusammenlegungen geben, könnte der Themenbereich der Kirchenumnutzungen aber auch im Kanton Graubünden noch aktueller werden.