Das politische Thema Konzernverantwortungsinitiative elektrisiert die schweizerische Kirchenlandschaft. Dass im Kanton Nidwalden mit seinem milden Steuerklima und seinen vielen Holdings die Kirche anders tickt als in anderen Landesteilen, verwundert kaum. Hier ist der Entscheid der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) sich für die Initiative zu positionieren, nicht auf gute Resonanz gestossen – zumindest im Kirchenrat.
Streit um Konzernverantwortung führt zur Entlassung
Nidwaldens reformierter Kirchenrat erklärt die Konzernverantwortungsinitiative zum Tabu im eigenen Mitteilungsorgan und entlässt seinen Redaktionsleiter.
Kontradiktorische Debatte unerwünscht
Was aber dennoch überrascht: Die Konzernverantwortungsinitiative ist in dem kleinen Kanton ein derart heisses Eisen, dass es nach Ansicht des dortigen Kirchenrats nicht im eigenen kirchlichen Blatt «Kirchen-News» erwähnt werden sollte. Der Redaktionsleiter Thomas Vaszary wollte dagegen dieses brennende Thema nicht unter den Tisch fallen lassen. Wie in den meisten kirchlichen Mitteilungsblätter sollte es Pro und Contra abgehandelt werden. Journalistisch spannend: Vaszary bot für das Contra einen prominenten Vertreter auf – Christoph Mäder, Präsident der Economiesuisse und reformiertes Kirchenmitglied in Hergiswil (NW). Ihm wäre der Positionsbezug von Katharina Boerlin von der kirchlichen Plattform «Kirche für Konzernverantwortung» gegenübergestanden.
Normalerweise ein unstrittiges journalistisches Vorgehen. Nun wurde aber der Kirchenrat selbst aktiv und informierte Economiesuisse, dass der Beitrag von Mäder hinfällig geworden sei. «Dies alles geschah hinter meinem Rücken, ohne dass ich informiert wurde», sagt Vaszary. Kurz vor Redaktionsschluss hätte man ihn aufgefordert, die Doppelseite im Inneren des Blattes mit einem anderen Stoff zu füllen. Unter Berufung auf das Redaktionsstatut, das die redaktionelle Unabhängigkeit und auch den Einbezug aller Mitglieder der Redaktionskommission bei verlegerischen Entscheidungen garantierte, wollte er sich diesen Eingriff nicht gefallen lassen.
«Kultur des Streitens»
Stattdessen versah der Redaktionsleiter den leeren Raum für vorgesehenen Pro- & Contra-Beiträge mit dem Hinweis: «Hier hätte der Beitrag … stehen sollen.» Zudem forderte er in einem Kommentar mehr Streitkultur in der Kirche ein: «Wer profilierte Menschen in einer profilierten Kirche will, muss auch eine Kultur des Streitens entwickeln.»
Die Kirchenleitung sah dies anders, stampfte das bereits gedruckte Blatt ein und schrieb einen Brief an Vaszary: Aufgrund des von seiner Seite her «ungenehmigten Drucks» kündigte der Kirchenrat seinem seit 2015 für die Landeskirche Nidwalden tätigen Redaktionsleiter fristlos und stellte in Aussicht, ihm für «eigenmächtig, treu- und vertragswidriges Handeln» die Kosten in Rechnung zu stellen.
Die Leserschaft, bei der normalerweise Ende Oktober ein gedrucktes Exemplar der «Kirchen-News» im Briefkasten gesteckt hätte, wurde vom Kirchenratsbeschluss brieflich ins Bild gesetzt: «Wir sehen unsere Zeitung als ein Informationsblatt über Aktivitäten und Veranstaltungen unserer Kirche und nicht als geeignetes Medium zur Verbreitung politischer Statements.»
Interessensverflechtung?
Hinter dem ungewöhnlichen Vorgehen vermutet Renate Metzger-Breitenfellner auch eine gewisse Interessensverflechtung. Die freie Journalistin, die im Kanton Nidwalden lebt, erinnert daran, dass Kirchenratspräsident Wolfgang Gaede als Betriebsleiter der Klebag in Ennetbürgen, ein Kader-Mitarbeiter der weltweit operierenden Sika-Gruppe ist, und die Kirchenrats-Vizepräsidentin Diana Hartz Leiterin der Wirtschaftsförderung Nidwalden. «Das sieht sehr danach aus, dass hier handfeste eigene Interessen vertreten werden – und dass es sich um einen konkreten Einsatz gegen die Konzernverantwortungsinitiative handelt, ausgetragen auf dem Rücken des Redaktionsleiters », sagt sie.
Gegenüber der Lokalzeitung «Nidwaldner Zeitung» trat Kirchenratspräsident Wolfgang Gaede* als Anwalt der Leserinnen und Leser der «Kirchen-News» auf: «Diese Personen sollen sich nicht bevormundet fühlen durch Beiträge, die zunehmend in eine politische Richtung gehen.» Andererseits räumte Gaede ein, dass er einen Diskurs schätze, «so wie er im Redaktionsstatut vorgesehen ist».
Der Diskurs jedenfalls zur Konzernverantwortungsinitiative ist schon seit dem Frühling in Planung, «eine Planung, die auch dem Kirchenrat bekannt gewesen ist», wie Vaszary versichert. «Drei Tage vor Redaktionsschluss der November-Ausgabe hat der Kirchenrat die Redaktion mit dem Beschluss überrascht, keine politischen Themen im ‹Kirchen-News› haben zu wollen», sagt der Redaktionsleiter.
Die Haltung des Kirchenrates in dieser Sache sei unverständlich, sagt Vaszary, würde doch beispielsweise in der Stanser Kirche von den Pfarrpersonen offen für die Konzernverantwortungsinitiatve geworben – mit Flyern und Plakaten. «Warum soll ausgerechnet in der reformierten Kirche Nidwalden keine Debatte möglich sein, wenn es um Gerechtigkeit, Verantwortung, Bewahrung der Schöpfung und Nächstenliebe geht?, fragt Vaszary.
Letzte Station Arbeitsgericht
Letzte Woche unterbreitete der Redaktionsleiter dem Kirchenrat ein Angebot in Güte. Bis Dienstagmittag hätten Gespräche stattfinden sollen. Vergeblich. Im Fokus der juristischen Auseinandersetzung wird vor allem eines stehen: Ohne arbeitsrechtliche Abmahnung wurde Vaszary sofort freigestellt – sprich fristlos entlassen. Unabhängig, was für ein Urteil die Gerichte sprechen werden, bleibt eine Frage offen. Könnte man von der Kirche nicht ein Handeln erwarten, das mehr auf friedlichen Ausgleich bedacht ist.
*«reformiert.» befragte auch den Kirchenratspräsidenten Wolfgang Gaede, der aber die vorgelegten Zitate bis zum Redaktionsschluss nicht autorisierte.