Jubelnde Wahlsieger, verunsicherte Wähler

Politik

Protest von rechts: Zwei Pfarrer suchen nach Gründen für den Erfolg der AfD in Deutschland.

Der Erfolg der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) übertraf alle Prognosen. Bei den Wahlen vom 13. März schaffte sie auf Anhieb den Sprung in drei Landtage. Im ostdeutschen Bundesland Sachsen-Anhalt ist sie mit 24 Prozent der Stimmen neu sogar die zweitstärkste Kraft.

Den lutherischen Pfarrer Johannes Lehnert aus Zürich überrascht das Resultat nicht. «Viele Menschen wollten ihre generelle Unzufriedenheit ausdrücken, indem sie die AfD wählten», analysiert er. Dies sei ihre einzige Ausdrucksmöglichkeit, da sie ansonsten nicht so direkt auf die Politik Einfluss nehmen könnten wie Schweizer Bürgerinnen und Bürger. Lehnert wuchs in der früheren DDR auf und ist seit 2007 Pfarrer der evangelisch-lutherischen Kirche in Zürich.

Urängste werden wach. Er glaubt, dass für manche Deutsche, die bisher gar nie wählen gingen, die AfD im Gegensatz zur rechtsradikalen NPD salonfähig sei. Tatsächlich fällt die 2013 als Reaktion auf die Euro-Rettungspolitik gegründete AfD mit konservativen bis rassistischen Positionen zur Migration und EU auf. Einzelne Exponenten sind für die Wiedereinführung der Todesstrafe. Die Co-Vorsitzende Frauke Petry, gebürtige Ostdeutsche, möchte notfalls Grenzbeamte auf Flüchtlinge schiessen lassen.

Lehnert ortet bei immer mehr Menschen in Deutschland «eine gewisse Urangst, dass das Eigene und Bekannte zerstört wird». Die Finanzprobleme Europas hätten viele verunsichert. Die Flüchtlingskrise und die Öffnung der Grenzen durch die Bundesregierung für Hunderttausende von Flüchtlingen hätten nun das Fass zum Überlaufen gebracht.

Als Pfarrer habe er Verständnis für Urängste, betont Lehnert. «Dass diese aber von der AfD instrumentalisiert werden, um Stimmen zu gewinnen, ist schlimm und gefährlich.»

Diese Atmosphäre der Verunsicherung und Angst herrscht in Deutschland schon länger. Seit 2014 demonstrieren in Dresden und weiteren Städten Anhänger der Pegida-Bewegung gegen eine von ihnen behauptete Islamisierung des christlichen Abendlandes. Auf ihren Transparenten prangt pikanterweise der Slogan «Wir sind das Volk», der das Leitmotiv der ostdeutschen Bürgerrechtsbewegung vor der Wende war. Eine «unlautere Vereinnahmung» sei dies, kritisiert Johannes Lehnert, der 1989 in Greifswald sein Theologiestudium ein Jahr lang liegen liess und sich für den politischen Umbruch einsetzte.

Wendezeit kommt hoch. Vom Slogan erhoffe sich die Pegida vermutlich Öffentlichkeitswirksamkeit, meint der frühere DDR-Pfarrer Dietmar Linke. Er sieht die fremdenfeindliche Bewegung als «Sammelbecken von Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen verängstigt» seien. Dabei schwingen nach seiner Meinung alte Ängste mit, die noch aus der Zeit der Wende stammen. «Viele Menschen fühlten sich damals abgehängt und vom Westen übergangen. Eine vertiefte Reflexion darüber hat nie stattgefunden», führt er aus. Dies räche sich jetzt.

Linke setzte sich in der DDR für Freiheit und Demokratie ein. In seinem Buch dokumentiert er akribisch, wie die Stasi ihn und seine Frau jahrelang bespitzelte und gezielt «kaputtmachen» wollte. Er erklärt: Es sei kein Zufall, dass die Pegida im ostdeutschen Sachsen entstanden sei. Dieses habe als «Tal der Ahnungslosen» gegolten, weil es vom Westfernsehen und somit von unabhängigen Informatio­nen abgeschnitten war.

In der DDR hätten zudem fast keine Ausländer gelebt, vereinzelte Arbeiter seien in Kasernen regelrecht versteckt worden. «Begegnung mit Fremden konnte nicht eingeübt werden», so Linke. Genau dies sei in der heutigen Situation aber wichtig. Denn die Pegida und die AfD, die auch in vier westdeutschen Landtagen Fuss fassen konnte, versuchten, Flüchtlinge als unmenschliche Wesen darzustellen.

Linke engagiert sich in Berlin in kirchlichen Projekten und ist überzeugt: «Die Kirche hat die Infrastruktur, um Begegnungen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen zu ermöglichen. Und ihre Mitarbeitenden kennen das Liebesgebot der Bergpredigt.»

Buchtipp. Bedrohter Alltag, Als Pfarrer im Fokus des MfS, Dietmar Linke, Geest-Verlag 2015