Recherche 02. April 2024, von Mirjam Messerli

Beziehungsstatus: Kompliziert

Kirche und Wirtschaft

Im Kanton Bern wird geprüft, ob Firmen keine Kirchensteuer mehr zahlen müssen. Die Kirche sieht die Debatte auch als Chance, ihre Angebote bekannter zu machen.

Die eine Seite, die Landeskirche, hatte sich in der Beziehung gemütlich eingerichtet. Die andere Seite hingegen, die Unternehmen im Kanton Bern, wollte reden. Weshalb sie eigentlich Kirchensteuern bezahlen müssten, wo doch Privatpersonen die Wahl hätten, ebendies nicht zu tun, fragten sie. Unter der Federführung des freisinnigen Thuner Grossrats Carlos Reinhard reichten bürgerliche sowie Mitte-Politikerinnen und -politiker einen Vorstoss ein. Die Forderung: Die Kirchensteuer soll für Unternehmen im Kanton Bern freiwillig werden («reformiert.» berichtete).

Der Vorstoss wurde zwar in der Frühlingssession des Kantonsparlaments abgeschwächt. Die Regierung soll vorerst lediglich prüfen, welche wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen eine freiwillige Kirchensteuer hätte. Die Beziehungsgespräche zwischen der Kirche und der Wirtschaft sind damit aber erst recht dringlich geworden.

Unsere Angebote im sozialen und kulturellen Bereich kommen allen zugute.
Judith Pörksen, Synodalratspräsidentin Refbejuso

«Wir sehen die Auslegeordnung als Chance», so Judith Pörksen, Synodalratspräsidentin der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn (Refbejuso). Der Vorstoss habe für Bewegung gesorgt, meint sie. Denn bis anhin seien die Kirchen allzu zurückhaltend gewesen, wenn es darum ging, ihre Leistungen für die Gesellschaft hervorzuheben.

Diese entsprechen einem jährlichen Gegenwert von etwa 183 Millionen Franken. Dabei leisten Freiwillige Gratiseinsätze, für die 400 Vollzeitstellen nötig wären. «Unsere Angebote im sozialen und kulturellen Bereich kommen allen zugute, etwa auch Menschen, die keiner Landeskirche angehören», erklärt Pörksen. Das Engagement der Kirchen wird aus Wirtschaftskreisen denn auch nicht angezweifelt.

Auch andere Religionsgemeinschaften oder gemeinnützige Organisationen machen gute Arbeit.
Carlos Reinhard, Grossrat (FDP, Thun)

«Auch andere Religionsgemeinschaften oder gemeinnützige Organisationen machen gute Arbeit, kommen aber nicht in den Genuss von Steuergeldern», sagt Grossrat Reinhard. Rund 40 Millionen Franken Kirchensteuer zahlen die Firmen pro Jahr, das entspricht 20 Prozent des Gesamttopfes.

Dieses Geld darf zwar nicht für kultische Zwecke wie Gottesdienste verwendet werden, kommt jedoch ausschliesslich den drei Landeskirchen zugute – also der reformierten, der römisch-katholischen und der christkatholischen.

Wirtschaft will selber wählen

Auch Inhabern kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU), wie sie in der EDU stark vertreten sind, stösst dies sauer auf: «Privat fühlen sich viele von ihnen in Freikirchen gut aufgehoben, aber ihre Kirchensteuer fliesst an die Landeskirche», sagte der Oberländer Grossrat Jakob Schwarz im Parlament.

Gleich geht es anderen Religionsgemeinschaften. «Ein erfolgreicher muslimischer Unternehmer würde die Steuer vielleicht lieber seiner Gemeinschaft zahlen – die sich ja auch für Mitmenschen einsetzt», sagte ein Vertreter des Islamischen Kantonalverbands an einer Veranstaltung im Polit-Forum Bern.

Lösung: Eine Sozialsteuer?

Aus Unternehmerkreisen wird als mögliche Lösung das Modell einer «Sozial- oder Kultursteuer» eingebracht, wie sie Italien oder Schweden kennen. Dabei wählt das Unternehmen, ob sein Geld an die Kirche, den Umweltschutz oder einen Verein geht. Ein neues Modell sei letztlich ein politischer Entscheid, sagt die Synodalratspräsidentin. «Wir werden uns konstruktiv in diese Debatte einbringen.»

Ein heikler Punkt könnte dabei die kirchliche Praxis sein, sich in politischen Fragen zu positionieren. Hätten sich die Kirchen nicht für die Konzernverantwortungsinitiative starkgemacht, hätte die Wirtschaft auch nicht damit gedroht, den Geldhahn zuzudrehen, mutmasste der grüne Grossrat Manuel C. Widmer im Parlament.

Besonders die lokale Wirtschaft profitiert von den Kirchen.
Judith Pörksen, Synodalratspräsidentin Refbejuso

Der Positionsbezug der Kirche sei im angesprochenen Fall gegen diejenigen grossen Konzerne gerichtet, welche die Umwelt oder auch Mitarbeitende ausbeuteten, betonte die SP-Grossrätin und Synodalrätin Ursula Marti in der Debatte. Schliesslich sei es ja eine Aufgabe der Kirche, sich für die Schöpfung und die Schwächeren einzusetzen.

«Besonders die lokale Wirtschaft profitiert von den Kirchen», sagt Judith Pörksen. So vergäben Kirchgemeinden laufend Aufträge an örtliches Gewerbe – bei Veranstaltungen oder Bauvorhaben. Pörksen will sich auch dafür einsetzen, dass Kirche und Wirtschaft vermehrt gemeinsame Projekte lancieren. Aktuelle Beispiele sind «Tischlein deck dich» mit den Grossverteilern oder «Job Caddie», ein Mentoring-Angebot für Jugendliche.