Sie treten nach 17 Jahren als Zirkus- und Chilbipfarrerin zurück. Mit welchem Gefühl?
Katharina Hoby: Im Moment überwiegt die Erleichterung darüber, dass ich die Aufgaben an meine Nachfolgerin Eveline Saoud abgeben kann. Doch ich bin auch traurig. Ich habe eine reiche Zeit.
Ihrer Nachfolgerin haben Sie bei der Amtsübergabe am Knabenschiessen Kraft gewünscht, um in der manchmal rauen Chilbiwelt zu bestehen. Inwiefern ist sie rau?
Der Job ist nichts für Zartbesaitete. Besucht man als Pfarrerin die Chilbileute, ist man bei jedem Wetter draussen – ich stand auch schon knietief im Morast. Diese Menschen sind körperlich sehr robust, weil sie ihre Fahrgeschäfte aufstellen und grosse Trucks fahren müssen. Sie sind direkt, oft benutzen sie auch eine grobe Sprache mit deftigen Wörtern. Damit muss man als Frau umgehen können.
Wie ging es Ihnen am Anfang damit?
Ich habe fünf Kinder und habe in der Chilbiwelt keine neuen Kraftausdrücke gelernt (lacht). Und ich habe keine Berührungsängste.
Sie haben Gottesdienste in Zirkusmanegen gestaltet, Chilbibahnen eingeweiht und als Seelsorgerin Zirkusleute in der ganzen Schweiz besucht. Welches waren wichtige Themen in der Seelsorge?
Ein belastendes Thema ist der grosse Konkurrenzdruck, der auch als Riss durch viele Familien von Schaustellenden geht. Hat eine Familie zwei Kinder, die zuerst gemeinsam reisen, müssen später drei Betriebe von der Chilbi leben können. So werden die Geschwister automatisch zu Konkurrenten. Das ist umso schwieriger, als die Chilbis immer stärker unter Druck geraten durch andere Freizeitangebote und immer höhere Auflagen auf den Plätzen.
Haben die Familien deswegen Streit?
Nicht zwingend, aber die Situation führt dazu, dass die Schaustellerinnen und Schausteller selten offen sind zu einander. Weil der andere Konkurrent ist, zeigt man sich nicht verletzlich – weder innerhalb noch ausserhalb der Familie. In der Seelsorge konnten die Menschen oftmals eine andere Seite zeigen, das war sehr berührend.
Erinnern Sie sich an ein besonders schönes Erlebnis?
Ich durfte einmal die schwerbehinderte Tochter eines Hilfsarbeiters konfirmieren. Die Chilbileute waren wegen der Beeinträchtigung des Mädchens gegenüber der Feier skeptisch, ausserdem sahen sie es nicht gerne, wenn ich auch ihre Hilfsarbeiter betreute. Beim Segen hielt ich einen regenbogenfarbenen Regenschirm über das Mädchen und sie wurde plötzlich ruhig und sah mich ganz offen an. In diesem Moment wurde etwas vom Heiligen Geist spürbar, das mich und alle Anwesenden sehr bewegte.
Was haben Sie als Theologin bei den Zirkusartisten und Schaustellerinnen gelernt?
Als Pfarrerin muss ich meine Sprache immer anpassen für das Milieu, in dem ich arbeite. In der Chilbi- und Zirkuswelt ist eine einfache, bildhafte Sprache gefragt. Theologische Begriffe wie «Gnade» oder «Rechtfertigung» konnte ich so nicht verwenden, ich musste sie in Bildern aus der Alltagswelt der Artistinnen und Schaustellern umschreiben.
Wie umschreiben Sie die Gnade?
Im Leben ist es wie auf der Chilbi: Ich tue alles, was es braucht, um erfolgreich zu sein. Ich warte mit aller Sorgfalt mein Fahrgeschäft, putze und öle die Scharniere, mache Probefahrten, stelle es an einem sicheren Ort auf und lache freundlich aus dem Kassenhäuschen. Aber ob das Wetter gut wird, die Leute auch kommen und fahren und ich somit Geld verdienen kann, das habe ich nicht in den Händen. Das ist ein Geschenk Gottes!
Wie geht es für Sie beruflich weiter?
Ich arbeite schon jetzt mit einem kleinen Pensum als Seelsorgerin in einem Pflegeheim. Im neuen Jahr möchte ich mir eine Stelle in einem Spital suchen. Dazu habe ich die Seelsorge-Weiterbildung in «Clinical Pastoral Training» absolviert.
Vom Zirkus ins Pflegeheim – warum diese Neuorientierung?
Ich bin jetzt 57 Jahre alt. Ich bin auch in meinem persönlichen Umfeld vermehrt mit Vergänglichkeit und Gebrechlichkeit konfrontiert. Es ist stimmig von der Lebensphase her. Mit 50 Jahren ist es mir auf den immer verrückter werdenden Chilbibahnen bei deren Einweihungen, die ich jeweils vornehmen durfte, vermehrt schlecht geworden. Das war für mich das erste Zeichen, dass ich nicht mehr ewig Chilbipfarrerin bleiben werde.