Hingebungsvoll improvisiert Bohdan Mikolasek auf der Orgel in der Zürcher Pauluskirche. Seine Frau Jana war dort bis zu ihrer Pensionierung 23 Jahre lang Pfarrerin. Der gebürtige Tscheche hat klassische Werke komponiert und war Organist in drei Kirchgemeinden im Kanton Zürich. Vor allem aber hat er unzählige grosse und kleine Lieder geschrieben. Er schrieb sie für Gottesdienste und den Konfirmationsunterricht, die Sonntagsschule oder für Kinderorchester und Chöre.
Jetzt greift der 70-Jährige zur Gitarre und singt ein lustiges Lied über Menschen und Tiere. Er schrieb es einst für eine Konfirmandin, die ihre Tierzeichnungen ausstellte. Es war sein erstes Lied auf Deutsch. Sein berühmtestes Lied ist nicht lustig. «Ticho», auf Deutsch Stille, ist Jan Palach gewidmet. Der 20-jährige Student zündete sich am 16. Januar 1969 selbst an, aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings durch Truppen des Warschauer Pakts und die Resignation, die sich fünf Monate danach unter den Menschen breit machte. Drei Tage später starb Palach.
Enttäuschte Hoffnungen
Mikolasek war damals auch 20 Jahre als und Student in Prag. «Von den Gedenkdemonstrationen kam ich aufgewühlt zurück ins Wohnheim, in einer halben Stunde entstand das Lied.» Dass es Stille heissen musste, war für ihn von Anfang an klar. Trotz übervoller Plätze und Strassen hat er die Stadt noch nie so still erlebt. Sein Lied wurde berühmt, als der Regisseur Milan Peer seinen Dokumentarfilm über den Tod von Palach damit unterlegte.
Von der Invasion der sowjetischen Truppen im August 1968 erfuhr Mikolasek in Deutschland, ein evangelischer Jugendchor hatte ihn eingeladen. «Ich sass mit dem Radio auf einer bayrischen Alp und dachte erst, es handle sich um ein Hörspiel.» Seit Monaten waren in der Tschechoslowakei die Grenzen zum Westen offen, vor wenigen Wochen noch war er in Moskau aufgetreten. Nun nahm der Traum eines «Sozialismus mit menschlichem Antlitz» ein abruptes Ende. «Wir fühlten uns allein gelassen, nach ersten Protesten im Westen kam keine Unterstützung mehr.»
Sein Lied sang Mikolasek zum letzten Mal 1972 an einem Konzert an der Theologischen Fakultät, zu dem ihn seine spätere Frau eingeladen hatte. Darauf folgte für ihn ein Berufsverbot als Musiker und für sie der Ausschluss aus dem Theologiestudium. Obwohl Mikolasek auch Elektroingenieur war, fand er erst nur eine Stelle als Techniker. Seine Frau durfte zwar nach einer Zeit als Putzfrau ihr Studium beenden, konnte aber nicht als Pfarrerin arbeiten. Zermürbt flüchteten die beiden 1982 mit ihren zwei kleinen Kindern in die Schweiz.
Angst um die alte Heimat
Kaum angekommen, fand Jana Mikolasek eine Pfarrstelle in Otelfingen. «Wir wurden sehr gut aufgenommen, sind immer noch dankbar dafür», sagt der Musiker. Zwar hat man den Pfarrhausalltag mit dem Mann, der zu den Kindern schaute und den Haushalt besorgte, aufmerksam beobachtet, das legte sich aber. Eine Stelle als Elektroingenieur hätte er problemlos gefunden. «Was Jana machte, ergab aber für mich mehr Sinn», sagt Mikolasek, der wie sie in einem evangelischen Pfarrhaus aufgewachsen ist. Von Anfang an engagierte er sich als Musiker in der Kirchgemeinde.
«Ein Lied kann die Welt verändern», ist Mikolasek überzeugt. Es ist ihm egal, wenn man das 50 Jahre nach der 68er-Bewegung und dem Prager Frühling vielleicht nostalgisch findet. Seit der Wende ist er oft in Tschechien, um dort aufzutreten. Sorge bereitet ihm der aktuelle Verlust der demokratischen Werte in seiner alten Heimat. «Umso wichtiger ist es, die Menschen, die sich dagegen wehren, nicht im Stich zu lassen.»