Ralph Kunz, ist ein Gottesdienst per Live-Stream theologisch gesehen ein vollwertiger Gottesdienst?
Ja. Nach biblischem Verständnis ist Christus anwesend, «wo zwei oder drei sich in seinem Namen versammeln», wie es im Matthäus-Evangelium (18,20) heisst. Das ist über mediale Formen genauso erlebbar. TV-Gottesdienst gibt es ja schon lange. Trotzdem mag ich nicht in das Hohelied der digitalen Religion einstimmen.
Warum nicht?
Ich bin dankbar für die neuen technischen Möglichkeiten, die uns jetzt über die gröbste Einsamkeit hinweghelfen. Aber die digitalen Formate können niemals den realen Gottesdienst in der Ortsgemeinde ersetzen. In ihnen geht etwas verloren, was der Theologe Kurt Marti die «Körperkirche» nannte. Der Gottesdienst ist nach reformatorischem Verständnis eine leibhaftige Versammlung von Menschen. Die Dimension des Körpers ist sehr wichtig.
Wirklich? Die reformierte Liturgie misst dem Körper keinen grossen Stellenwert zu.
Das stimmt leider. Aber wir sollten nicht unterschätzen, was es bedeutet, wenn wir als Menschen zusammen auf einer Kirchenbank sitzen, die gegenseitige Resonanz spüren und nachher zusammen einen Kaffee trinken. Solche Nähe brauchen wir als Menschen. Social Distancing mag im Moment lebensrettend sein. Aber Religion ist die Unterbrechung unserer üblichen sozialen Distanzierung. Darum können digitale Formate auf die Dauer alleine nicht tragen.
Können Sie den digitalen Angeboten auch etwas Positives abgewinnen?
Natürlich! Digitale Angebote ergänzen die Versammlung in normalen Zeiten, und können sie in Notzeiten ersetzen. Das war schon immer so. Medien überbrücken die Distanz. Früher waren es Briefe, heute haben wir dank Internet ein erweitertes Repertoire an Kommunikationskanälen. Ich spüre bei Pfarrpersonen und kirchlichen Mitarbeitenden ganz viel Liebe und Sorgfalt. Sie wollen mit den Gemeindemitgliedern verbunden bleiben und ihnen etwas geben in dieser sehr schwierigen Situation. Das finde ich grossartig. Über die digitalen Formate können die Zuschauerinnen und Zuschauer in Kontakt bleiben mit den vertrauten Gesichtern der Gemeinde und sich an gemeinsam Erlebtes erinnern. Das Gefühl von Beheimatung wachzuhalten, ist aus meiner Sicht ihre wichtigste Funktion.
Soll man auch die öffentliche Abendmahlsfeier in der Kirche digital gestalten?
Man kann schon, und wenn manche einen Trost daraus ziehen, soll es ihnen nicht verwehrt sein. Aber ich persönlich würde es nicht machen, weil es für mich eine Verkehrung der Feier wäre. Nach reformatorischem Verständnis ist das Abendmahl eine leibliche Zusammenkunft. Christinnen und Christen feiern es im Gedenken an das letzte Abendmahl Jesu Christi. Das reale Beisammensein ist entscheidend.