Seit Jahrzehnten engagieren Sie sich in Friedensinitiativen und Frauengruppen sowie in Seminaren mit Jugendlichen für Dialog und Gewaltverzicht bei der Lösung des Nahostkonflikts. Woher holen Sie die Ausdauer?
Sumaya Farhat-Naser:Der Nahostkonflikt ist zermürbend. Die Verzweiflung dauert an. Viele Menschen werden dadurch passiv. Aber ich habe viele tolle Sachen während all dieser Arbeit und in meinem Leben erfahren, woraus ich Kraft und Hoffnung schöpfe. Mein Lebensprinzip lautet, etwas so lange zu versuchen, bis es klappt – auch wenn es zwanzig Anläufe braucht. Ich will nicht nur die Situation beklagen und andere dafür schuldig machen, sondern will mit meinen Taten zu positiven Veränderungen beitragen.
Je länger der Nahostkonflikt andauert, desto komplexer und schwieriger wird die Suche nach Lösungen. Glauben Sie weiterhin daran, dass Palästinenser und Israeli eine gemeinsame Heimat haben können?
Die Situation ist sehr verfahren. Eine gemeinsame Lösung wäre wünschenswert. Aber eigentlich ist es egal, welche politische Form, ob eine Ein- oder Zweistaatenlösung, gefunden wird. Das Wichtigste ist, dass alle in einer Demokratie in Freiheit und Frieden leben können. Es ist unabdingbar, dass die Menschen wieder die Oberhand gewinnen und nicht Ideologien die politische und gesellschaftliche Situation in Israel und Palästina bestimmen.
Damit sich die Menschen näher kommen?
Ja, denn die Regeln der israelischen Besatzung haben über die Jahre den Austausch zwischen den Menschen beider Völker verhindert. Wir leben seit Jahrzehnten in getrennten Welten. Wir kommen einander nicht näher. Ich setze weiterhin auf die Vernunft aller Beteiligten. Bis sich die Lage verändert, müssen wir Palästinenser weiterhin versuchen, Frieden in uns und mit anderen zu finden. Frieden zu schliessen bedeutet, sich von der Ethik und der Moral der Menschlichkeit leiten zu lassen und die Rechte, die man für sich selbst beansprucht, auch der anderen Seite zu gewähren.
Sie halten im November in verschiedenen Schweizer Städten Vorträge über Ihr Leben und Ihren Alltag. Was wollen Sie bewirken?
Seit vielen Jahren koordiniert die Fachstelle Ökumene, Mission und Entwicklungszusammenarbeit (OeME) der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn meine Vorträge. Zwei Mal pro Jahr komme ich dafür in die Schweiz. Ich tue dies, um gegen die vorherrschenden Vorurteile über unsere Situation anzukämpfen. Weltweit und auch hier in der Schweiz gibt es viele Menschen, die meinen, alles über den Nahostkonflikt und die Palästinenser zu wissen. Mit meinen Vorträgen und Büchern will ich zeigen, dass auch die palästinensische Kultur viel zu bieten hat und für andere eine Bereicherung sein kann. Ich will Mut und Hoffnung vermitteln.
Sie leiten hier auch Seminare für palästinensische und arabische Menschen zu gewaltfreier Kommunikation. Weshalb?
Menschen mit arabischen Wurzeln fühlen sich oft zwischen zwei Welten hin und her gerissen. Ihre doppelte Identität macht ihnen Mühe. In den Seminaren geht es um den Umgang mit Wut, Angst und Ohnmacht. Ich will den Menschen hierzulande vermitteln, ihr Leben in der Schweiz zu lieben, und sie dazu ermutigen, ihre Aufgabe in der hiesigen Gesellschaft zu finden.