Was die Schweiz bei der Saatgutpolitik verändern sollte

Ernährung

Saatgut spielt eine zentrale Rolle bei der Ernährung. Doch sei es in Gefahr, sagt unter anderem die Organisation Swissaid. Und begründet das mit einer ausführlichen Publikation.

Zwar sind Samen klein, aber es geht um viel – findet jedenfalls Simon Degelo, Saatgutexperte bei der Organisation Swissaid. Diese setzt sich ein gegen Hunger auf der Welt und für ein selbstbestimmtes Leben auch der ärmsten Menschen. Saatgut sei die Grundlage unserer Ernährung, sagt Degelo – denn wer über das Saatgut bestimmen könne, bestimme, was auf die Teller komme. «Daher erfüllt es mich mit Sorge, dass die vier Konzerne Bayer, Corteva, Syngenta und BASF mehr als die Hälfte der Saatgutmärkte weltweit unter sich aufteilen.»

Bei diesem Thema ist die Schweiz kein Vorbild. Das zeigt schon nur eine Karte in der neuen Publikation «Unser Saatgut in Gefahr» von Swissaid. Unser Land findet sich im orangen (mittelguten) Bereich – manche andere Länder wie etwa die bevölkerungsreichsten zwei der Welt, China und Indien, im dunkelgrünen. Das heisst: Dort ist bäuerliches Saatgut «zum Verkauf zugelassen und wird unterstützt». In der Schweiz – wie in den meisten Ländern Europas, Australien, Südafrika, Brasilien, Mexiko – hingegen ist es nur «unter bestimmten Bedingungen oder innerhalb bestimmter Grenzen zum Verkauf zugelassen». 

Selbst verschenken ist teils verborten

Für die neue Publikation habe Swissaid die Saatgutbestimmungen weltweit untersucht, sagt Degelo. Im roten oder dunkelroten Bereich sind 39 Länder. Diese verbieten den Verkauf von bäuerlichem Saatgut, in 14 davon ist zudem nicht einmal der Tausch und/oder das Verschenken von Saatgut erlaubt. Dazu gehören beispielsweise Chile, Argentinien, Grossbritannien, Weissrussland und einige afrikanische Länder. 

«Globale Kämpfe um die Kontrolle der Nahrungsmittelerzeugung»

Wie der Untertitel der neuen Publikation «Unser Saatgut in Gefahr» antönt, behandelt ein Kollektiv von Autorinnen und Autoren aus dem Norden und Süden das Thema in diversen Beiträgen. Die 52-seitige Broschüre beleuchtet es aus rechtlichen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Blickwinkeln und thematisiert die Rolle von Freihandelsabkommen. Es ist aber mehr als eine Bestandsaufnahme: Anhand von Beispielen zeigt die Publikation schliesslich auch auf, dass Veränderungen möglich sind, und soll gemäss Mitherausgeber Swissaid als Aufruf zum Handeln verstanden werden.

«Unser Saatgut in Gefahr» kann hier als PDF heruntergeladen werden

Als vorbildlich bezeichnet der Saatgut-Experte etwa Indien und Äthiopien. Das asiatische Land habe ein Sortenschutzgesetz, das die Rechte der Bäuerinnen und Bauern genauso schütze wie das intellektuelle Eigentum der Züchtenden. «Und Äthiopien hat seine Saatgutpolitik darauf ausgerichtet, dass dem bäuerlichen Saatgut genauso eine wichtige Rolle zukommt wie dem kommerziellen Saatgut.» Wichtig wäre, dass jedes Land Bestimmungen definierte, die auf die lokalen Bedürfnisse abgestimmt wären – «statt sich diese von Ländern des globalen Nordens oder von der Lobby der Agrarkonzerne diktieren zu lassen», hält Simon Degelo fest. 

Ein weiterer Missstand kommt gemäss dem Experten hinzu. Die grössten vier Saatgutkonzerne gehören gleichzeitig zu den grössten Pestizidherstellern, gemäss Swissaid mit einem Marktanteil von über 60%. «So haben sie kaum Interesse daran, Saatgut zu züchten, das für eine agrarökologische Landwirtschaft geeignet ist», erläutert Degelo. 

«Verwerflich und gefährlich»

Zudem monopolisierten diese Konzerne die Saatgut-Vielfalt zunehmend durch Patente und andere Formen des intellektuellen Eigentums und machten sie für andere nicht mehr uneingeschränkt zugänglich. Für Degelo ein Unding: «Das ist verwerflich und gefährlich, da es sich bei der Saatgut-Vielfalt um eine gemeinsame Ressource der Menschheit handelt. Wir benötigen sie, um in Zukunft die Ernährung zu sichern.»

Drei der wichtigsten Forderungen von Swissaid zum Saatgut

Auf Anfrage fasst Swissaid-Saatgutexperte Simon Degelo die drei wichtigsten Forderungen der Organisation zusammen:

Erstens müssen bäuerliche Rechte auf Saatgut geschützt werden. In Ländern, wo die Bäuerinnen und Bauern ihr Saatgut nicht uneingeschränkt nachziehen, nutzen, tauschen und verkaufen dürfen, müssen die entsprechenden Gesetze geändert werden. Diese bäuerlichen Rechte sind durch verschiedene Abkommen auf internationaler Ebene verbrieft, viele Länder kommen ihren Verpflichtungen aber zu wenig nach.

Zweitens müssen Patente auf Pflanzen verboten werden. Das Europäische Patentamt vergibt laufend Patente auf Pflanzen – die auch in der Schweiz gelten –, welche die genetischen Ressourcen monopolisieren, statt eine Erfindung zu schützen. Durch das Aufkommen neuer Methoden zur genetischen Veränderung wird sich das Problem noch verschärfen. Daher muss die Praxis des Europäischen Patentamts dringend angepasst werden. Zudem kann die Schweiz die Reichweite der Patente einschränken, damit Züchterinnen und Züchter in der Schweiz vor missbräuchlichen Patentansprüchen geschützt sind.

Drittens braucht es mehr Investitionen der öffentlichen Hand in die Pflanzenzüchtung, um beispielsweise in Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft neue klimaangepasste Pflanzensorten zu züchten. In den vergangenen Jahrzehnten hat man die Pflanzenzüchtung weitgehend den Privatunternehmen überlassen. Um die Sorten zu züchten, die wir brauchen, um die Landwirtschaft zukunftsfähig zu machen, braucht es ein Umdenken und die Züchtung sollte wieder vermehrt als öffentliche Aufgabe angesehen werden.

Dabei hat aus Sicht von Swissaid auch die Schweiz dringende Aufgaben. Die Schweiz müsse endlich aufhören in ihren Handelsabkommen den Partnerländer Vorschriften zum intellektuellen Eigentum auf Saatgut zu machen, fordert Simon Degelo. «So enthält beispielsweise das Abkommen mit Indonesien eine Klausel, die das Land verpflichtet, die Sortenschutzbestimmungen so anzupassen, dass die Bäuerinnen und Bauern das Saatgut, das sie einmal gekauft haben, nicht nachziehen dürfen, sondern jedes Jahr neu kaufen müssen.» Ein Lichtblick: Der Nationalrat hat kürzlich ein Postulat angenommen, der den  Bundesrat verpflichtet, diese Praxis zu hinterfragen. «Die Regierung muss diese Aufgabe ernst nehmen», sagt Degelo.  

Einsicht verbreitet sich langsam

Weiter Hoffnung mache, dass sich viele bäuerliche Organisationen und andere Teile der Zivilgesellschaft für den Erhalt der Saatgutvielfalt und die Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen einsetzten – im globalen Norden wie im globalen Süden. Und er habe den Eindruck, dass sich bei immer mehr Leuten in Forschung und Politik die Erkenntnis durchsetze, «dass es wichtig ist, die Saatgutvielfalt zu erhalten, und dass es im Interesse aller ist, die Rechte der Bäuerinnen und Bauern zu schützen», sagt der Experte. So werde beispielsweise in der EU, in Mali und Tanzania darüber diskutiert, die Saatgutgesetze entsprechend anzupassen. Simon Degelo folgert: «Dies zeigt mir, dass sich der Einsatz für die Saatgutvielfalt lohnt.»