Recherche 24. Juni 2015, von Dorothee Degen-Zimmermann

«Swingli» aus der Sicht eines Südstaatlers

Scotty Williams, kreolischer Reverend aus dem ländlichen Louisiana, hat eine Dissertation über den Zürcher Reformator Huldrych Zwingli verfasst

Für seine 32 Jahre verfügt Scotty Williams über eine erstaunlich lange Erfahrung als Pastor. Acht Jahre lang war er in der Morrison Baptist Church in Minneapolis, Minnesota tätig, seit fünf Jahren amtet er als Assistent Reverend in der International Protestant Church (IPC) in Zürich, einem Treffpunkt für englischsprachige Expats aus aller Herren Länder. Daneben arbeitete er bis vor Kurzem an seiner Dissertation über Reformator Huldrych Zwingli. Nun ist der junge Mann in bester Laune. Er hat seine Dissertation nämlich soeben vor den Professoren der Bethel University, St. Paul (Minnesota) mit Erfolg verteidigt. Die Erleichterung ist ihm anzusehen.

Aus einfachen Verhältnissen. Scotty Williams ist in einfachsten Verhältnissen in der kreolischen Kultur des ländlichen Louisiana aufgewachsen. «Bei uns war es ganz normal, dass der Baptistenpastor und der katholische Priester zusammen predigten. Die häretische «Spiritual Church» ist dort so mächtig, dass den gläubigen Christen gar nichts anderes übrig bleibt als zusammenzuhalten.» Seine calvinistische Grossmutter erzählte ihm Geschichten aus der Bibel und von ihren Vorfahren, schwarzen Sklaven.

Schottische und auch schweizerische Calvinisten hatten ihnen einst das Evangelium gebracht, manche unter Lebensgefahr, denn sie zogen den Zorn der Sklavenhalter auf sich – das Evangelium birgt den Zündstoff der Freiheit. Daher galten die Schweizer Reformatoren Zwingli und Calvin viel in der kreolischen Gemeinschaft. Der junge Scotty hörte durch seine Grossmutter von ihnen – und mochte «Swingli» gar nicht. «Ich fand, dass er das Abendmahl kaputt gemacht hat. Und er trug das Schwert. Er kam mir kalt und flach vor. Der gelehrte Calvin dagegen hatte meine Sympathie, er hatte eine mystische Sicht der Kommunion und starb eines natürlichen Todes.»

Dass Scotty Williams sich dennoch auf Zwingli einliess, verdankt er einem früheren Pastor der IPC, der ihn herausforderte: «Hast du schon etwas von Zwingli gelesen? Etwa seine Predigten? Du wirst staunen!» Also eine Dissertation über Zwingli schreiben – und Scotty kam bei der Arbeit tatsächlich ins Staunen. Zürich erwies sich als hervorragender Standort, nirgendwo gibt es mehr Quellen über den Reformator. Manchmal ging Scotty einfach durch die Altstadt. «Ich schaute mir die Häuser an und überlegte, welche zu Zwinglis Zeit schon da waren.»

Überraschend Aktuell. Für seine Arbeit las er Zwingli im Original. Seine Frau, eine Aargauer Lehrerin, war ihm dabei eine grosse Hilfe. Die Predigten «Die Klarheit und Gewissheit des Wortes Gottes» und «Der Hirt» wurden in überraschender Weise aktuell für ihn. «In der IPC gingen wir durch eine schwierige Phase, ich war eine Zeit lang alleiniger Pastor und ziemlich überfordert», erzählt Reverend Williams. «Zwingli hatte ein grosses Vertrauen in die Kraft des Wortes Gottes. Bei ihm lernte ich, dass ein guter Hirt die Leute anleitet, für einander zu sorgen. Beides hat mich als Pastor sehr ermutigt und entlastet.» Es gefalle ihm auch, dass Zwingli im Laufe seines Lebens manchmal die Meinung geändert, dass er sich entwickelt hat. «So wurde dear old Herr Zwingli zu meinem Lieblingsreformator.» Ganz bewusst ist Scotty Williams an seinem Wohnort Rupperswil reformiertes Kirchenmitglied geworden. Er kann nicht begreifen, dass die Reformierten in der Schweiz so wenig mit ihrem Erbe anzufangen wissen. «Mir scheint, sie schätzen es gering. Sie finden es interessanter, auf andere Kulturen zu schauen.» Seine Frau habe zu ihm gesagt, es sei schon seltsam, dass es einen kreolischen Schwarzen aus den USA gebraucht habe, damit sie ihre eigene Glaubenstradition kennenlerne und den Wert ihrer Herkunft achte.

Internationale Aufbaupläne. «Ich möchte, dass die Tradition, die mich gelehrt hat, Jesus nachzufolgen, einen neuen Ausdruck findet. Und ich wünsche mir, dass das reformierte Erbe neu aufblüht.» Eine mögliche Perspektive: «Ich kann mir gut vorstellen, hier zu bleiben und innerhalb der reformierten Landeskirche eine internationale Gemeinde aufzubauen. Mir gefällt die Gemeinschaft mit Menschen aus aller Welt.» Je mehr er darüber nachdenke, sagt Scotty Williams, desto stärker werde ihm bewusst, wie viel die Schweizer ihm und seiner Familie, seinem Volk, gegeben haben. «Ich möchte gerne etwas davon zurückgeben.»

Vom Mississippi an die Aare

Scotty J. Wiliams wurde 1983 in Louisiana in den USA geboren. Der promovierte Theologe und Pastor arbeitet als Assistent Reverend in der International Protestant Church (IPC) in Zürich und ist dort verantwortlich für die Kinder-
und Jugendarbeit. Scotty Williams kam 2010
in die Schweiz und wohnt mit seiner Frau Maria
im aargauischen Rupperswil. Der Titel seiner Dissertation lautet: «The New Reformed Pastor: Zwinglian Wisdom for Modern Ministers».

www.ipc-zurich.org