Die Rädelsführer des Sturms auf das Kapitol wurden jüngst zu hohen Haftstrafen verurteilt. Sie beschäftigen sich seit Langem mit der Radikalisierung der Evangelikalen in den USA – hat Sie der Sturm auf das Kapitol überrascht?
Kirstin Kobes Du Mez: Vor zehn Jahren hätte ich mir das nicht vorstellen können. Aber meine Forschung hat gezeigt, dass es Gründe gibt, warum bestimmte Gruppen Gewalt und auch politische Gewalt als Mittel sehen. Über Jahrzehnte wurde dies in evangelikalen Kreisen in Büchern und Medien propagiert. Am Fernseher zuzusehen und zu verstehen, was auf dem Spiel steht, hat mich aber recht mitgenommen.
Im Mob waren immer wieder christliche Symbole zu sehen, Kreuze oder Jesus-Fahnen.
Am Tag zuvor fand noch der Jericho March statt, er mobilisiert den rechten Flügel der Evangelikalen, der sich stark kämpferischer Rhetorik bedient. Viele dieser Menschen sah man auch am Kapitol. Was mich sehr beschäftigte: Eine Gruppe der extremistischen Proud Boys blieb in der Menge stehen und sprach ein Gebet. Das war ein Gebet, wie es in jeder evangelikalen Gemeinde am Sonntagmorgen gesprochen wird.
Warum war das so relevant?
Wegen der politischen Beeinflussung. Betet jemand, dass Gott auf seiner Seite sein möge bei der Verteidigung des christlichen Landes, fällt das auf fruchtbaren Boden auch bei moderateren Evangelikalen. Sie sind vielleicht nicht live dabei am Kapitol, schlussendlich werden sie jedoch die extremeren Kräfte beziehungsweise die Republikaner unterstützen. Nicht die Demokraten, die man ihnen vielleicht von klein auf als unchristlich und antiamerikanisch verkauft hat.