Finnland gilt als erfolgreicher Pionier beim Konzept Housing-First. Wie ist Ihre Bilanz nach 15 Jahren?
Obdachlosigkeit war ein riesiges Problem. 1987, zu Beginn der ersten Erhebungen, lebten fast 20 000 Menschen ohne Dach über dem Kopf. Seit der Lancierung von Housing-First in 2008 haben wir die Obdachlosigkeit halbiert. Bei den Menschen mit den schwersten Problemen, die sehr lange ohne Wohnung lebten, beträgt der Rückgang gar mindestens 60 Prozent. Obdachlos sind nun weniger als 4000 Personen. Zweidrittel von ihnen wohnt temporär bei Familie oder Freunden.
Haben Sie sich das Konzept damals aus den USA abgeschaut?
Tatsächlich wurde es dort zuerst eingeführt. Aber wir haben unser Konzept völlig unabhängig von den Erfahrungen in den USA entwickelt. Wir kamen in Finnland zum gleichen Schluss wie die Verantwortlichen in den USA.
Nämlich?
Dass das Stufen-Prinzip, welches darauf basiert, dass die Menschen erst ihre Probleme lösen und dann irgendwann eine Wohnung erhalten, nicht für alle funktioniert. Gerade Menschen mit Abhängigkeiten und psychischen Problemen haben Mühe, sich in Gruppenunterkünften an die Regeln zu halten. Deshalb wurde Housing-First in den USA ursprünglich für Menschen entwickelt, die aus Psychiatrien entlassen wurden. Sie erhielten auch intensive psychiatrische Unterstützung.